Kairos (German Edition)
war zuerst dagewesen, und erst dann hatte er die Worte gehört, die Schreie.
Zurück ihr Mistviecher!
(Mach schon die Augen auf! Was hast du vor, hier liegenbleiben und draufgehen? Verdammter Narr.)
Eine schallende Ohrfeige, in Gedanken. Er glaubte, sein Kopf müßte Bersten, aber dieses Gefühl hielt nicht lange vor. Corey riß die Augen auf. Er wußte, wo er war, und auch, was passierte. Ein armeegraues gepanzertes Fahrzeug war durch eine der Hangarwände gebrochen. Die Seitenverstrebungen und mit ihnen die eisernen Bänder, die sie hielten, waren gerissen und zu den Seitengebogen worden. Der Boden vor dem Loch in der Wand war gesäumt von Bauteilen diverser Beschaffenheit, Größe und Form. Das Vehikel – ein schwer gepanzerter Roverjeep – war dicht an den auseinanderspritzenden Soldaten vorbeigeprescht und auf die breite Zufahrtsstraße gebogen, auf der die Shumgona sich aufhielten.
Corey kam nicht mehr auf die Beine. Er kauerte auf dem Boden und sah dem Roverjeep nach. Ein 20-mm-Geschütz auf dessen Anbau am Heck schwenkte in Richtung Skulls. Coreys Augen weiteten sich.
Das wird ein schönes Geballer geben.
Fürchtete, hoffte er. Er konnte nicht anders als dazuhocken, die blutleeren Lippen im Staunen halb offen, und den Panzer auf dessen selbstmörderischer Fahrt zu betrachten. Irgendwie wußte er es; eine innere Stimme ließ es ihn wissen; es war Doria Patrick, die den Jeep fuhr. „
Shizz
, Captain, was tun Sie?“, flüsterte er. Das Bild des sich entfernenden Fahrzeuges raste auf ihn zu; dann riß es seinen Blick herum, als Menschen aus dem Loch in der Hangarwand stürmten. Corey blickte angestrengt, sah einen Mann mit dunklem langem Haar und eine Frau mit dunklerem, längerem Haar und brauchte etliche Sekunden lang Zeit, um zu begreifen, daß sie auf ihn zuliefen. Sie trugen
AstroCom
-Overalls. Seine Züge spannten sich.
Die kommen wegen mir. Die wollen mir helfen.
Die nächste Ungeheuerlichkeit. Ein Wirbelwind widersprüchlicher Emotionen überkam ihn – Protest über ein solches Maß an Selbstlosigkeit, aber auch Angst davor, sie könnten es nicht rechtzeitig schaffen, dazu der Klammergriff ständiger Todesangst.
Und Dankbarkeit.
Corey mühte sich vergebens auf die Beine. Der Blutverlust hatte ihn völlig immobilisiert.
Der Mann und die Frau erreichten ihn fast zeitgleich, rutschten auf die Knie und beugten sich über ihn. Corey las in ihren Gesichtern Ungeduld, das dringliche Verlangen, von diesem Ort zu verschwinden –Ungeduld und Dringlichkeit, der irgendwie ... etwas Hemmungsloses beilag.
„O nein, was für ein Mist!“ Der Mann sprach. Seine Augen waren ruhig. Er ließ seinen Blick über Corey wandern, rasch und immer wieder. „
Mon dieu
, was haben diese Biester dir angetan?“
Alain musterte den Jungen. Er war kreidebleich, sogar seine Lippen waren weiß. Seine blauen Augen starrten ins Leere, sie wirkten grau, wie hinter Nebel.
„Bitte...“, stammelte Corey und ließ sich zurücksinken, „... helft ... mir ...“
Bei solchen Wunden
, mußte er denken
, ist keine erste Hilfe möglich.
Woher kam das jetzt, rätselte er selbst. Eine Holoserie? Irgendein Roman?
Durchtrennte Arterien und Venen. Große Halsschlagader, und am Hals kann man keine Aderpresse anlegen, und direkter Druck mit der Hand nützt nichts bei einer Schlagader. Scheiße, in so einem Fall ist man machtlos...
„Ruhig“, sagte der Mann.
... machtlos...
„Sicher helfen wir dir. Du darfst dich nicht anstrengen. Am Besten, du sagst gar nichts mehr. Spar deine Kräfte. Wir helfen dir.“
Das hatte die Frau gesagt. Er dachte:
Asiatin. Hübsch. Die Gesichtszüge markant und doch auch weich, etwas Gutes, Nobles im Blick.
Sie sagt, sie hilft mir.
Falls nicht, wußte er, würde er hier einfach liegen bleiben und sterben.
„Du stirbst nicht“, sagte die Frau. „Glaub mir, da ist eine Menge, was wir tun können.“
Corey verstand nicht. Er murmelte etwas, das nicht einmal er selbst verstand. Neuer Lärm. Etwas Massives krachte gegen ein ebenso massives Hindernis; etwas detonierte. Corey schaffte es, die Augen einen Spalt weit zu öffnen und sah Feuer und irgend etwas Schwarzes, Festes darin glühendheiß zerfallen. Er versuchte erneut, sich zu bewegen, und ebenso erneut scheiterte er. Immerhin, etwas mehr erkennen konnte er. Er sah eine weitere Gestalt, die auf ihn – ihn und die anderen – zulief, einen Mann, klein, irgendwie dunkelhäutig, nicht wie ein Schwarzer, aber doch dunkler, als etwa ein Südeuropäer.
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