Kairos (German Edition)
Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, ist es wirklich um die Menschheit geschehen. Dann werden wir ganz sicher alle draufgehen. Noch haben wir eine Chance, diese Katastrophe überstehen. Aber unsere Aussichten sinken rapide, wenn wir uns gegenseitig fertigmachen. Siehst du das nicht ein?“
Nazma war fassungslos. „Wer bist du, die widergeborene Mutter Theresa?“
„Da spricht wieder diese dumme Arroganz aus dir.“ Sarah-Jem brachte das als ruhigen Befund hervor.
„Ach,
Shizz
!“, brüllte Nazma, konnte nicht anders. Was dachte sich die dumme Gans? „Zum Henker mit dir und deiner Rechthaberei!“
„Bleib auf dem Teppich. Es geht nicht an, daß du so mit mir sprichst. Ich weiß, du hältst nicht viel von mir, aber ich habe jetzt schlicht nicht die Motivation, dir deine verqueren Vorurteile zu nehmen.“
„Was...?“
„Ich war für dich da, als du jemanden brauchtest. Wenn du nun denkst, auf meine Gesellschaft verzichten zu können, dann kannst du mir auch gestohlen bleiben. Gehen wir eben wieder getrennte Wege, und Punkt.“ Sie drehte sich um und tat einen Schritt weg von Nazma.
„Nein. Warte, es tut mir ja leid.“ Ihre eigenen Worte überraschten sie selbst. Sie paßten nicht zu der lauten, herrischen Nazma, die nicht gerne einen Irrtum einsah. Die Angst hatte sie diesen Satz aussprechen lassen. Sie wollte nicht, daß Sarah-Jem ging. Genau genommen erfüllte sie panisches Entsetzen bei diesem Gedanken. Verflucht, es war so demaskierend, aber ... kein Alleinsein jetzt. Jetzt nicht, und hoffentlich, bat sie stumm, niemals mehr. „Sarah, hör mal ... Jetzt hab dich nicht so.“
Sarah-Jem nickte nur. Sie hatte mit keiner anderen Reaktion gerechnet. Die Lauten würden einmal die Leisesten sein, die Unscheinbaren jene mit wahrer Eignung. Wie jetzt. „Akzeptiert. Weißt du, ich will mich hier auch nicht allein durchschlagen müssen.“
Aber ich tu’s, wenn es sein muß. Hab schon ganz andere Dinge durchgestanden, ganz woanders.
Nazma registrierte den festen Willen der Anderen. Sie nickte verhalten.
„Gut. Gehen wir.“
„Warte“, sagte Nazma.
„Was ist noch?“
„Als du vorhin sagtest, die sollten darüber nachdenken, welchem Feind wir jetzt gegenüberstehen ... Was hast du damit gemeint?“
Sarah-Jem mußte über die Antwort keine Sekunde nachdenken. Sie ging los, Nazma folgte ihr. Sarah-Jem sagte: „Die Ereignisse haben uns doch eines unmißverständlich klargemacht: Der Weltenlauf hat die Aliens zu Menschen gemacht – und uns zu den Fremden, Bedrängten auf diesem Planeten. Verstehst du, was ich meine? Rollentausch, Nazma: Die Shumgona sind die neuen Conquistadores, Kolonialherren oder Invasionsarmeen, die in der Geschichte dieses Planeten in Marsch gesetzt worden sind, um andere Länder zu unterwerfen und deren Völker zu unterjochen. Uns war immer schon klar, daß wir eines Tages Außerirdischen gegenüberstehen würden, irgendwann einmal, in weiter Zukunft, aber es war nicht klar gewesen, daß wir selbst auch diese Außerirdischen sein würden. Weil sie verdammt und zugenäht aussehen, wie wir. Weil sie handeln wie wir. Damit konnte niemand rechnen. Oder doch? Ich habe wirklich keine Ahnung.“
Nazma sah sie an. Sie verstand kein Wort. Aber etwas sagte ihr, daß Sarah-Jem sehr wohl wußte, wovon sie sprach; daß sie weit mehr von diesen Dingen verstand, als sie zugeben wollte – und als Nazma jemals im Leben verstehen würde. Die Erkenntnis machte ihr angst. Zumal sie spürte, daß hinter all diesem ersten Verstehen noch viel mehr lag, jenseits ihres Erfassens.
Sie gingen weiter, seltsam bedächtig für die Situation. Sarah-Jem sah die grübelnde Nazma einen Augenblick lang schweigend an. „Die Shumgona“, sagte sie schließlich, „sind auch ... irgendwie ... Menschen, Nazma. Nur eben eine andere Menschheit. Das Schlimme ist, ihr bekämpft euch im Grunde wieder einmal selbst. Die Skulls, die euch hinterhältig angreifen ... und dann diese Polizistenschweine vorhin ... Es ist immer die gleiche alte, beschissene Geschichte. Ich bin ihrer schon viel zu oft ansichtig geworden, beinahe überall, an jedem Ort, wo ich war.“ Sie sah Nazma erneut an und lachte freudlos. „Und weißt du was, sie kotzt mich allmählich wirklich an.“
Das verstand Nazma. Zumindest den letzten Teil.
41
Diese Monstren,
dachte Corey Homme,
sehen aus, wie Horrorgestalten aus einem Scherzartikelladen.
Vielleicht ja, aber Fakt war, sie waren keine Wesen aus Schaumstoff, Styropor und Silikon, sondern
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