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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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anklagend, war in bewegender Weise das Sinnbild einer getriebenen Frau, die zu Beginn ihres bewußten Lebens durchaus Gutes im Sinn gehabt hatte, dann aber – von einer bitteren Warte aus gesehen – grandios gescheitert war. Am Ende des Tages hatte sie bitterlich geweint. Sie war genau das, was Alain gesagt hatte: ein Wrack und darüber hinaus das
brebis galeuse
, das schwarze Schaf ihrer Gruppe. Ihre Pilotin, ihre nach Galdea zweite Schutzbefohlene, ein Mitglied der Fünf, war ein kläglicher Rest zerplatzter Träume und enttäuschter Loyalitäten, der sich nur als Teil des Problems sah, nie als Teil der Lösung.
    All das war sie. Aber jetzt, nach diesen ersten offenen Worten, erschien sie Eiko zumindest nicht mehr als boshaft oder gefährlich, sondern nur zutiefst unglücklich – eine Frau auf einem Kreuzzug gegen sich selbst.
    Eikos Problem war die ganze Zeit gewesen, daß sie nicht wußte, was dieser Frau passiert war. Sich nicht vorab bei Alain informiert zu haben, war falsch gewesen. Sie hatte es teils korrigiert, indem sie Alain nach dem aufreibenden Dreiergespräch solange mit Fragen gebohrt hatte, bis der schließlich mit der Wahrheit herausgerückt war. Anfangs war er, wie Eiko glaubte, von der Tragödie einer praktisch Fremden nur peinlich berührt, ganz so, als schämte er sich für sie, ohne jedoch das wahre Ausmaß ihrer Qual verstehen zu können. Eiko hatte Alains Worten von einem Zeppelinabsturz vor zwei Jahren gebannt gelauscht. Sicherlich, Eiko hatte vom Fall der
Chrysogonus
gehört, aber die vielen Artikel, Reportagen und Netzbeiträge niemals mit einer Mary-Doria Patrick in Verbindung gebracht, geschweige denn auch nur geahnt, daß sie es gewesen war, die den Zeppelin auf dessen Jungfernflug pilotiert hatte. Und genau darin bestand auch Alains großes Problem, Eiko überhaupt davon zu erzählen. Denn die brisanten Details bezüglich der
Chrysogonus
standen unter Verschluß. Alain, als hohes Tier bei
AstroCom
, waren die Informationen freilich zugänglich.Aber etwas verlautbaren lassen, generell und besonders Leuten gegenüber, die der Luftwaffe, dem Weltraumprogramm, dem allweisen Verteidigungskommissariat, nur im Ansatz nahe standen, war untersagt. Darum Alains Zögern, obwohl Eiko ihn mit ihren Fragen bedrängte; daher sein Argwohn, den er Doria von Anfang an entgegengebracht hatte, dessen übererregte Worte in der Dschungelpyramide – und daher sein Aufatmen, als er sich, mit einer aufmerksamen und klug nachfragenden Eiko als Zuhörerin, all diese Dinge von der Seele geredet hatte. Speziell im Hinblick auf ihre Mission.
    Denn, das stand fest, Alain hatte ebensoviel Angst davor wie Eiko, mit dieser Frau in die schwarze Weite aufzubrechen.
    Mit diesem Wissen schätzte Eiko Doria neu ein. Nach und nach verdrängte sie ihr altes Bild von der Pilotin und ersetzte es durch ein Neues, dessen zentraler Aspekt ihr noch immer schleierhaft war. Sie hoffte inständig, daß alle weißen Stellen sich mit der Zeit durch etwas Gehaltvolles, Sinngebendes ersetzen ließen. Zumindest empfand sie jetzt Verständnis.
    „Was sagen Sie da?“, fragte Eiko jetzt. Sie lächelte nicht und griff nach der leeren Whiskeyflasche, die in der Blase zwischen zwei Spiralnebeln schwebte, und hielt sie mit einem fragenden Gesichtsaudruck Doria vor das Gesicht. Ihr Glas reflektierte Sternenlicht.
    „Was denken Sie?“, sagte Doria, schon klarer. „Wonach sieht’s aus?“
    „Hm“, war Eikos knapper Kommentar. „Okay. Ich spiele Ihr Spiel mit – dieses Mal. Ich habe nichts gesehen, okay?“
    „Was wollen Sie?“, murmelte Doria. „Wie spät ist es?“ Sie sah auf die große Uhr an ihrem Handgelenk, wie sie alle Flieger zu tragen schienen. „Verdammt, welcher
Tag
?“
    Eiko betrachtete Doria. Diese trug ihre Maske der Ungezwungenheit. Und noch immer lag darunter düsteres Brüten. „Der Morgen des 2. Juli, Doria. Und jetzt hören Sie mir zu. Etwas Schreckliches ist passiert.“
    Die Schlitze ihrer Augen weiteten sich einen Spaltbreit. „Was?“ Ihr Ton war indifferent, weder freundlich noch unfreundlich, unzugänglich und distanziert. Er ermutigte nicht zu einem Gespräch.
    „Sind Sie in Ordnung?“, fragte Eiko leise.
    Sie lachte humorlos. „Sicher. Mir geht es großartig.“
    Eiko sah die vor einer Spiralgalaxie schwebende, versiegelte Flasche. „Ist das Bourbon?“
    Nicken.
    „Geben Sie mir etwas.“
    Dorias Miene hellte sich kein Jota auf. Sie tat einfach, wie ihr geheißen, riß den Blechverschluß der

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