Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
Vom Netzwerk:
Bourbonflasche ab und drehte die Kappe auf. Sie gab Eiko die Flasche. Sie trank und registrierte wohlig, wie der Alkohol ihre Kehle wärmte.
    Aber sie spürte auch, wie Doria sie musterte.
    „Nachladen?“, fragte die Pilotin mit hartem Gesicht.
    Eiko ließ die Flasche kopfschüttelnd los; sie trieb davon.
    „Also, was ist passiert?“, fragte Doria.
    „Er ist tot.“
    „Wer ist tot?“
    Sie packte ihren Arm. „Berg ist tot! Man hat ihn umgebracht!“
    „Was?“ Sie machte große Augen, klappte den Mund auf und zu. „Sagen Sie das noch einmal.“
    „Doria, Aron Berg ist gestern Abend von einem Verrückten getötet worden.“
    „Gestern Abend?“ Sie schwieg eine Sekunde. „Verdammt, das ist wirklich erschütternd“, sagte sie schließlich, und dann, leiser: „Erzählen Sie.“
    „Ich weiß nicht. Man munkelt, Gift. Im Pressesaal der Villa, nach einer Rede. Teufel, Doria, die ganze Welt spricht darüber. Jeder weiß es.“
    „Aber ich nicht.“
    Eiko schüttelte beklommen den Kopf. „Ja.“ Sie sagte: „Ich glaube, daß wir bald starten werden.“
    Doria schaute sie nicht an, sah an ihr vorbei zu einem in unermeßlicher Ferne hängenden Sternencluster. „Ja“, gab sie zurück. „Ich weiß.“
    Sie fühlt es auch.
Eiko dachte:
Und ich werde mich bald auf den Weg machen müssen, um eine Reise zu tun, bevor die eigentliche beginnt. Aber zuvor ...
Fürchtend, daß Doria noch weiter in ihre trübe Stimmung sank, griff Eiko ihr beherzt unter die Arme und begann, sie aus der Blase zu ziehen. Doria wehrte sich nicht. „Kommen Sie“, erbot sich Eiko, „gehen wir und besorgen Ihnen einen starken Kaffee. Am besten massenhaft davon.“
    „Das klingt wie die beste Idee des heutigen Tages“, brummte sie, sich stöhnend aufmachend, die Blase zu verlassen, um Eiko zu folgen.

28
    Nazma passierte das Haupttor des Universitätsgeländes und betrat den Campus. Sie hatte sich in ihren Mantel gehüllt, den Kopf mit einem Kurshandbuch als Regenschutz darüber eingezogen. Sie lief so schnell sie die Beine trugen, während Regen unablässig auf sie einprasselte.
    Im Studentenheim war die Abendessenszeit gerade vorbei. Die Spätvorlesungen standen bevor. Das akademische Jahr war auf seinem Höhepunkt, und für gewöhnlich wimmelten die Ziegelpfade von Studenten, Dozenten und Professoren, die zu den Instituten, in die Hörsäle oder das Verwaltungsgebäude eilten. Nun aber lag das Universitätsgelände ziemlich verlassen. Nazma wußte warum. Jeder tat das.
    Sie bog um eine Ecke und lief voll in den Wind. Über einen weiten Rasen, umgeben von alten englischen Eichen, in denen mehrere neonfarbene Frisbeescheiben hingen, sah sie die geodätische Kuppel der Sporthalle und die breite Eingangstreppe der
Hitachi-RBS
-Hall, dem Hauptgebäude, aufragen, beides hinter einem Regenschleier und angestrahlt. Rechter Hand lag ihr Wohnheim aus rotem Backstein, dessen Fassade der Graffitispruch zierte
Wenn das Universum ein Computer ist, was ist dann die Hardware?
    Nazma lief eine Steintreppe hinauf und betrat den mit Studenten vollgestopften Aufenthaltsraum. Man saß auf dem Boden oder drückte sich in Gruppen an die Wände. Alle diskutierten mit angespannten Stimmen miteinander – und sahen dabei die meiste Zeit zu einem ganz vorn, unter einem Treppenbogen flimmernden, zwei Meter hohen Holo.
    Nazma strich die Kapuze zurück und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Sie suchte Judith. Sie mußte hier irgendwo sein...
    Sie kam nur langsam voran. Die Luft war feucht und roch nach nasser Kleidung und nassen Haaren. Ihr Herz schlug heftig, was nur zum Teil am Laufen lag.
Aron Berg, tot! Ermordet von einem Verrückten! In der Villa!
Und das jetzt, wo die vertraute Welt ohnehin vor dem Kollaps stand. Das Ganze war ein Desaster. Nazma, wie die allermeisten, war geschockt.
    Immer näher kam sie dem Holo. (Soeben lief eine PepsiCo-Reklame.) Die Hauptberichterstattung galt jetzt ebenso Bergs Tod wie dem Mond. Nazma entdeckte ein paar Kommilitonen, abernichts zu sehen von Judith. Sie blieb stehen und folgte der Übertragung.
    Jemand berührte zaghaft ihre Schulter. Nazma, sicher, Judith stünde hinter ihr, fuhr herum. Ihre Züge entgleisten kurz.
Oh nein! Nicht sie.
Vor ihr stand eine Frau in ihrem Alter, Körper, Gesicht und Modestil – weißes Polohemd, schwarzer Rock, eine Spur von Lippenstift – unscheinbar schlicht. Sarah-Jemima Watkins. Spröde Eigenbrötlerin mit überzogener Weltgewandtheit (Besserwisserei), konservativem wie robustem

Weitere Kostenlose Bücher