Kairos (German Edition)
Satellitenbergungsmission, und wieder verlief alles lehrbuchmäßig. Es folgten Nutzlastflüge mit diversen Raumtransportern. Kurz darauf wurde Mary-Doria Patrick Europas erste Shuttlekommandantin.
Dann geschah Unerwartetes: sie verliebte sich in einen jungen Softwareingenieur namens Tom Carroll, der an
AstroComs
Rechenzentrum Primzahlen nachjagte, und wurde schwanger. Sie kehrte dem Raumfahrtprogramm den Rücken und ließ sich nach Irland versetzen, wo sie zunächst im Generalstab der Luftwaffe unterkam, dann des Geldes wegen bei
Moondust Inc.
, einem Privatkonsortium, anheuerte, das damit Profit machte, gutsituierte Weltraumtouristen zu den mittlerweile in großer Zahl zwischen Erde und Mond treibenden Hotelkomplexen zu bringen. Doria übernahm diese Pendelflüge. Er war ein Job, der ihr viel brachte: einen festen Dienstplan, genug Freizeit und gutes Geld. Alles lief bestens. Ihre neue Aufgabe stellte sie voll zufrieden; aber nicht im Mindesten wie ihr Mann und ihre Tochter Lauren...
Aber das war einst. Jetzt träumte sie. Ihr Traum war voller Grimassen, surreal und erschreckend in seiner Bizarrheit.
...Das Luftschiff schwebt in einer mit Meerwasser gefüllten, silbrigen Plazenta. Dann jagt ein Komet heran und läßt die
Chrysogonus
in weißem Licht verschwinden, aus dem ein monströser Fötuskopf mit Pilotenhelm und Kraterlöchern als Augen wächst. Er grinst. Daneben schwimmt Doria, eine aufblasbare Schwimmweste mit Stehkragen tragend, wie Piloten bei einer Wasserlandung...
Zwei Jahre nach Laurens Geburt erhielt Doria eine neue Anfrage aus der Privatwirtschaft, diesmal von einer kuwaitischen Investorengruppe, die Zeppelins baute. Doria sollte eines der Luftschiffe auf seinem Jungfernflug fahren. Es versprach, spaßig zu werden, und die Bezahlung war auch gut, also stand sie im Begriff, zuzusagen. Sie unterrichtete ihre Vorgesetzten von ihrem Plan; die sagten schließlich ja und Doria den Scheichs zu. Vier Jahre lang fuhr sie das Luftschiff von Dublin und Glasgow zu verschiedenen Orten in Brasilien und entlang der amerikanischen Ostküste. Alles lief glatt – vier Jahre lang. Dann kam es zum Debakel: Doria überschätzte die konstruktionsbedingten Eigenschaften des Leichtbauschiffes und das Maß ihrer Fähigkeiten, es zu fliegen. Eine Fehlerkette beim Handhaben des Zeppelins und grundlegende physikalische Gesetze sorgten dafür, daß die
E.A.S. Chrysogonus
wie ein Stein vom Himmel und in den Nordatlantik stürzte. Von den vierundachtzig Passagieren und acht Besatzungsmitgliedern (darunter ihr Mann und ihre Tochter) überlebten neben ihr selbst nur fünf Personen – ein Rentnerpaar aus Manitoba, Kanada, englische Zwillinge und ein Junge aus Schottlands Nordosten. Das war vor zwei Jahren. Zwei Jahre eine klaffende innere Wunde aufzuweisen, war eine lange Zeit.
„Doria?“
Nach dem Unglück war ihre Aufgeschlossenheit, ihr anspornendes, freundliches Wesen, zusammen mit ihrem linken Arm, der durch einen künstlich herangezüchteten ersetzt worden war, für immer dahin. Obwohl, oder besser weil es merkwürdigerweise niemals zu einem Zivilprozeß gegen Doria gekommen war, war ihre ganze Karriere, ihr ganzes Leben, von da an ein Balanceakt zwischen Ruhm und Ruin gewesen. Absolut, sie war der Fluch der Luftwaffe, aber trotz einiger Versuche, sie zu degradieren, auszumustern oder zumindest an ein Luftakrobatenteam abzuschieben, hatte sie es doch immer wieder geschafft, heil davonzukommen. Sie wußte selbst nicht, weshalb. Dorias Reputation war nach einem depressiven Wettsaufen mit Marineangehörigen und einernachfolgenden Schlägerei im Militärclub der Luftwaffe, bei der sie dem Leiter der Testpilotenschule vor versammelter Mannschaft eine verpaßt hatte und von der Militärpolizei darauf wegen Trunkenheit und Randalierens vorübergehend festgesetzt worden war, rapide gesunken. Seit dem Verlust eines sündhaft teuren Prototyps über dem Atlantik tendierte es gen Null. Trotz allerlei Disziplinarstrafen und Tadel in ihrer Akte behielt sie ihren Posten als Cheftestpilotin. Es schien manchmal, als hielte irgendwer sehr Einflußreiches seine schützende Hand über sie. Den Grund dieser Vorzugsbehandlung wußte niemand.
Zuletzt lebte sie zurückgezogen in einem 2-Zimmer-Junggesellenquartier mit schäbigem Dienstmobiliar auf dem Luftwaffenstützpunkt Lyon. Ihre Garderobe war so schlicht, daß sie ihre gesamte Kleidung mühelos in einem winzigen Wandschrank unterbringen konnte. Im Wohnzimmer standen nur ein brauner
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