Kaiserhof Strasse 12
gemächlich, denn sie hatten keine Verfolgung zu befürchten. Sie wußten, niemand würde sie wegen dieser Tat belangen.
Als ich über die Konstablerwache nach Hause ging, erfaßte mich ein unheimliches Gefühl, eine Mischung aus Wut, Angst und Ohnmacht. Wut auf die, die schamlos solche Zerstörungen anrichteten, Angst, daß sie es nicht damit bewenden lassen würden, und Ohnmacht, selbst nichts dagegen unternehmen zu können.
Ich erinnere mich nicht, in einer Frankfurter Zeitung jemals etwas über den Denkmalsturz gelesen zu haben. Warum, ist mir nicht klar, denn sollte diese sicherlich von höherer Stelle angeordnete Aktion gegen den jüdischen Dichter Heinrich Heine eine Wirkung in der Öffentlichkeit haben, mußte man auch den Denkmalsturz in den Zeitungen publizieren, als spontane Reaktion der deutschen Bevölkerung gegen das Judentum. Es ist auch denkbar, daß kaum zwei Monate nach der Machtübernahme die Redakteure liberaler Zeitungen diese Denkmalschändung als so peinlich empfanden, daß sie die Meldung darüber unterdrückten.
Ich bin sicher, daß niemand außer mir das Herunterstürzen der Kolbeplastik beobachtet hat. Von meinem Versteck konnte ich bis hinüber zur Zeil schauen und weiß deshalb, daß während dieser Zeit kein Mensch vorübergegangen ist. Zweifellos waren es Hitlerjungen, die man zu dieser Zerstörungsaktion, einer der ersten in Frankfurt, abkommandiert hatte. Doch waren sie im Frühjahr 1933 noch Anfänger und beschädigten, wie sich später herausstellte, die Figuren nur leicht. Fünf Jahre später, in der »Kristallnacht«, beherrschten sie dann ihr Handwerk perfekt.
Zwei Träume
Erinnern ist für mich so wie Wasserholen am Brunnen. Ich werfe den Eimer hinunter, lasse so viel vom Seil nach, bis ich spüre, wie sich der Eimer mit Wasser füllt, und ziehe ihn dann langsam wieder hoch. Ganz selten ist das Wasser so klar, daß ich bis zum Boden des Eimers sehen kann, und doch überrascht es mich immer wieder, was ich dort alles entdecke; einmal fand ich sogar einen Traum, der sich in meiner Kindheit und Jugend oft wiederholte und den ich lange vergessen hatte.
Ich soll bei Kleinböhl auf der Freßgasse Milch holen. Wie ich beim Metzger Rullmann um die Ecke biege, bemerke ich ein ungewöhnlich großes Tier, das fast wie ein Elefant aussieht. Es hat menschenähnliche Gesichtszüge, auffallend rote, hervorquellende Basedowaugen hinter einer schwarzumrandeten Hornbrille mit breiten Bügeln, wie sie der Arzt Sely Hirschmann trug, und große Elefantenohren, mit denen es ständig wedelt. Merkwürdig ist auch, daß das Tier eine Kopfbedeckung trägt, eine schwarze Baskenmütze, die sehr groß und ganz auf die Seite gezogen ist.
Eine ähnliche Baskenmütze hatte damals das Frankfurter Original Karlchen Waßmann aus dem Riederwald, und wie das Elefantentier trug auch er sie genau so schräg und weit über seinen weißen Haarschopf hinuntergezogen. Dieser freundliche, verschrobene Menschheitsbeglücker zog in den zwanziger und dreißiger Jahren jeden Abend von Kneipe zu Kneipe, winters wie sommers nur mit Hemd, kurzer Hose, Sandaletten und jener Baskenmütze angetan, eine grüne Fahne als Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zeit über der Schulter. Er verkaufte für einen Groschen seine im Selbstverlag herausgegebene Zeitung »Die Liebe« mit eigenen Gedichten, Erzählungen und Aufrufen für den Frieden der Welt. Wenn er in einem Lokal in der Tür erschien, sangen die Gäste im Chor: »'s Karlche Waßmann kimmt, s' Karlche Waßmann kimmt, die Liiiebe« - und er grüßte freundlich und war keinem böse, der Witze über ihn machte, ging von Tisch zu Tisch und bot in dem ihm eigenen Singsang seine Zeitung an. »Die Li-hiebe für nur zehn Pfennige - Leute kauft die Li-hiebe!« Viele nahmen ihm aus Jux, Mitleid oder auch ein wenig Neugier ein Exemplar ab, und Karlchen Waßmann sagte fünfmal »Danke«; und wenn ihm wer eine Laugenbrezel spendierte, wie man sie in Sachsenhausen zum Apfelwein ißt, sagte er in seiner typischen Art: »Der Herrgott vergelt's Euch, ein langes Leben in Frieden, und meine Empfehlung der Frau Gemahlin.«
Nur der in Frankfurt Fremde, der Ahnungslose, ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein, über Weltfrieden, Nächstenliebe und Abstinenz, denn sein missionarischer Eifer kannte keine Grenzen.
Den Nazis aber paßte Karlchen Waßmann mit seiner »Liebe« nicht, und weil er keiner anderen Beschäftigung nachging als der Herstellung und dem Verkauf seiner Zeitung - er
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