Kaiserhof Strasse 12
das Safe längst entdeckt. Man machte ihm nicht einmal einen Prozeß, sondern schaffte ihn sofort in ein Konzentrationslager. Wir haben nie mehr etwas von ihm gehört. Die übrige Familie Soostmann wanderte nach dem Überfall deutscher Truppen auf Frankreich in die Vereinigten Staaten aus.
Einige Tage nach seinem ersten Besuch kam Polizeimeister Kaspar wieder in unsere Wohnung, und es gab noch einmal ein Gespräch mit Mama hinter verschlossener Tür. Er sagte, er habe sich erkundigt und glaube zu wissen, daß es uns bald sehr schlecht ergehe, wenn wir in die Judenliste der Staatspolizei aufgenommen würden. Man munkele, in Kürze müßten die Juden erheblich mehr Steuern zahlen als die Arier, außerdem wolle man sie in geschlossene Wohnviertel umsetzen. Weitere, vielleicht noch strengere Maßnahmen seien in Vorbereitung. Wir brauchten uns aber keine Sorgen zu machen, fuhr er fort, für uns gelte das nicht, denn er habe nach langem Überlegen unsere Familie nicht in die Judenliste aufgenommen. Auf Mamas Frage, wie das möglich sei, ohne daß ihm daraus größere Schwierigkeiten entstünden, erklärte Kaspar, er habe einfach unsere Karte in der Meldekartei abgeändert und aus »mosaisch« »Dissident« gemacht. Er beschwor Mama, von nun an dürfe sie sich nirgendwo mehr als jüdisch bezeichnen. Wann immer sie ein behördliches Formular auszufüllen habe - er wußte ja, daß das in unserer Familie allein Mama machte -, müsse sie künftig, wenn nach der Religionszugehörigkeit gefragt werde, »Dissident« oder »religionslos« schreiben. Und das gelte für die ganze Familie.
Bevor sich Polizeimeister Kaspar verabschiedete, gab er meiner Mutter noch zu verstehen, daß auch er in große Verlegenheit käme, wenn bekannt würde, daß mit unserer Abstammung etwas nicht in Ordnung sei.
Man könnte mit Recht fragen, was den Polizeimeister Kaspar veranlaßt hat, eine so riskante Korrektur an unserer Einwohnermeldekarte vorzunehmen. Ich weiß es, bei Gott, nicht. Er tat es einfach. Er hatte keine näheren oder gar freundschaftlichen Beziehungen zu uns, kannte unsere Familie nur durch seine dienstlichen Aufgaben und war außerhalb der Dienstzeit nie mit uns zusammengekommen. Möglicherweise war er über die politische Einstellung meiner Eltern informiert, aber kein einziges Mal hat er darüber ein Wort verloren, und es ist auch kaum anzunehmen, daß ihm die politischen Gruppierungen, für die sich Mama engagierte, besonders sympathisch waren. Ich habe die von ihm veränderte Meldekarte mit dem durchgestrichenen »mosaisch« und dem daruntergesetzten »Dissident« selbst gesehen. Es waren viele Eintragungen und Veränderungen auf ihr verzeichnet, wie sich eben eine Familie in zwanzig Jahren polizeibehördlich verändert, und auf der rechten Seite war die Religionszugehörigkeit handschriftlich korrigiert.
Aber Polizeimeister Kaspar ging noch einen Schritt weiter. Als 1935 die sogenannten Nürnberger Gesetze, das »Reichsbürgergesetz« und das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« mit einem gewaltigen Agitationsaufwand verabschiedet wurden und die Pogromstimmung einem gefährlichen Höhepunkt entgegentrieb, war ihm die Korrektur in der Meldekartei nicht mehr sicher genug. Möglicherweise befürchtete er, ein übereifriger Kollege könne, durch die Korrektur mißtrauisch gemacht, Nachforschungen über unsere Familie anstellen. So vernichtete er kurzerhand die alte Meldekarte und stellte eine neue aus. Er sagte uns aber nichts davon. Erst als unsere Aufenthaltsgenehmigung verlängert werden mußte, bemerkte Mama, daß eine neue Einwohnermeldekarte angelegt worden war.
Auch eine spätere Begebenheit hätte Polizeimeister Kaspar, von dem mir nur noch seine etwas polternde Art und sein militärisch kurzer Haarschnitt in Erinnerung geblieben sind, leicht zum Verhängnis werden können.
Es war im Spätsommer 1937. In der Menschenschlange vor dem Küchenschalter im Haus der Jüdischen Fürsorge in der Königswarterstraße stand Papa und wartete, daß man ihm in den mitgebrachten dreistöckigen Essentender das Mittagessen einfülle. Seit sechs Jahren war er arbeitslos, und wir wurden in dieser Zeit von der Jüdischen Fürsorge mit kleinen Geldbeträgen, fast kostenlosem Mittagstisch für die ganze Familie, Kohlen im Winter, Schuhen und Kleidungsstücken unterstützt.
Die wenigen Räume waren überfüllt, alle Tische in dem kleinen Eßsaal besetzt, die Schlange vor dem Schalter reichte bis zur Tür.
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