Kaiserkrieger 2: Der Verrat
änderte, dass es sie tatsächlich gab. Wenn der Magister noch keine erblickt hatte, dann bestimmt, weil die Saravica ein so mächtiges Schiff war, dass jedes einigermaßen von Verstand beseelte Meeresmonstrum es sich dreimal überlegte, es anzugreifen. Dazu kam, dass Dahms, wenn er meinte, niemand würde ihm zuhören, in arg lästerlichem Tonfall von einem Klabautermann sprach, der, so schien es Marcellus' wachem Verstand, in etwa in die Kategorie Seeungeheuer einzuordnen war – soweit Marcellus den Zusammenhang richtig verstand. In jedem Falle hatte er Angst vor ihnen und war normalerweise sehr froh darüber, dass dickes Metall zwischen ihm und dem Meer – und den darin lebenden Monstren – war.
Marcellus hatte anfangs auch Angst vor Magister Dahms gehabt. Der Mann war mitunter arg bärbeißig gewesen. Doch er hatte sein Versprechen gegenüber dem Vater offenbar sehr ernst genommen. Im Gegensatz zu den anderen Ölaffen, mit denen sich Marcellus rasch angefreundet hatte – sie waren nur wenig älter als er selbst, hatten aber offensichtlich an einer weiteren Ausbildung kein gesteigertes Interesse –, galt er als mehr als nur eine flinke Arbeitskraft, die mit der Ölkanne durch den Maschinenpark eilte und überall dort die träge, dunkle Flüssigkeit nachfüllte, wo es ihm geheißen wurde. Dahms hatte einen Plan für ihn erstellt. Der Junge hatte begonnen, die Sprache der Besucher zu lernen (wenngleich seine bisherigen Fortschritte eher bescheiden waren) und der Magister hatte damit angefangen, ihm gewisse Grundbegriffe einer Wissenschaft beizubringen, die er »Mechanik« nannte. Als er in stundenlanger Kleinarbeit ein Zahnrad aus einem Papier ausschneiden musste, das er vorher in ebenso vielen Stunden langwierig aufgezeichnet hatte, nur, um daraufhin ein zweites, kleineres, mit größeren Zacken aufgetragen zu bekommen, hatte er durchaus am Sinn dieser Aufgaben gezweifelt. Magister Dahms war in seinen Lektionen unerbittlich gewesen, manchmal sehr streng, manchmal sehr laut.
Er hatte nie die Hand gegen ihn erhoben.
Er sorgte immer dafür, dass er zu essen bekam.
Er achtete darauf, dass er genug schlief und saubere Kleidung trug.
Mit der Zeit hatte Marcellus den Eindruck bekommen, dass hinter Magister Dahms' großer Strenge keine Willkür stand, sondern Überlegung, und als er eines Abends neben seiner Schüssel mit dicker Suppe ein Stück liegen sah, das wie ein schwarzes Rechteck aussah und süß wie gleichzeitig bitter schmeckte – Schokolade, nannten es die anderen Ölaffen –, ahnte er, dass Magister Dahms möglicherweise jemand war, den zu respektieren eine gute Idee war, vor dem er aber tatsächlich keine Angst haben musste.
In diesem Moment hatte der Sohn eines römischen Fischers jedenfalls sicher keine Angst vor dem Magister.
Er hatte Angst um ihn.
Und er fürchtete sich vor der Enge, der Dunkelheit und der stickigen Luft in dem engen Werkzeugschrank, in dem er saß. Die Spitze einer kleinen Feile hatte er so an den Türrahmen gepresst, dass die Schranktür fast, aber eben nicht ganz zufiel, und solange niemand auf die Idee kam, den Spalt zuzudrücken und die Tür gar mit dem Riegel zu verschließen, konnte er sie jederzeit aufstoßen.
Da draußen aber saßen die Meuterer. Er war ihnen in dem ganzen Durcheinander entkommen, hatte sich verborgen, hatte voller Entsetzen gesehen, wie einer der Aufrührer Magister Dahms verletzt hatte, hätte fast aufgeschrien und wäre zu ihm gerannt und doch …
Er war sich nicht einmal sicher, was ihm eingegeben hatte, hier draußen zu verweilen. Als der fluchende Erste Offizier verschwunden war, waren zwei der Aufrührer und zwei Mönche mit grimmigen Mienen zurückgeblieben. Sie ahnten nichts von dem Jungen im Schrank, sondern konzentrierten sich auf das Schott, hämmerten hin und wieder dagegen, stießen – in diesem Falle meist lateinische – Verwünschungen aus und starrten sich von Zeit zu Zeit halb misstrauisch, halb frustriert an, da sie offenbar nicht miteinander sprechen konnten.
Marcellus hatte sich schon damit abgefunden, auf unbestimmte Zeit in dieser höchst ungemütlichen Umgebung verbleiben zu müssen, als ein fünfter Mann auftauchte und die beiden Deutschen abkommandierte. Es blieben die beiden Mönche übrig. Als diese begannen, sich zu langweilen, taten sie, was ihnen wohl zum Zeitvertreib das Naheliegendste war.
Sie begannen zu beten.
Sehr inbrünstig.
Es waren gute Christen.
Und wie sie da auf den Knien hockten, in wahrhaft
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