Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
Abgrund führen würde, direkt hinein in finsteren Zynismus, auf dem er sein Leben nicht aufbauen wollte.
»Und bereite dich vor, Jan. Gib Obacht. Lass dich nicht vom schönen Schein blenden. Sei bewaffnet. Und deine Leute auch. Ich habe es bereits von Geeren berichtet und auch Dahms weiß Bescheid.«
Aurelia war fleißig gewesen und Rheinberg war sich nicht sicher, ob ihm das so sonderlich gefiel.
Er runzelte die Stirn. »Wie haben sie reagiert?«
Aurelia lächelte freudlos. Sie zeigte, dass sie ihr Pulver verschossen hatte und nicht die Absicht hegte, zu betteln und zu flehen. Sie setzte sich auf einen Schemel vor den Spiegel, nahm eine Haarbürste hervor und begann mit geschmeidigen, geübten Bewegungen ihre Haare zu pflegen. Sie blickte ihn aus dem Spiegel heraus an, etwas mitleidig, etwas resigniert auch, vor allem aber erkennbar müde.
»Wie du, Jan. Wie echte Narren es eben tun.«
7
Astypalaia war weniger als eine Stadt, das konnte Julia drehen und wenden, wie sie wollte. Die größte Ansiedlung auf der griechischen Insel Kos war ein besseres Dorf, und dieses Dorf zehrte im Wesentlichen von zwei Dingen: von seiner großartigen Geschichte und vom Wein. Die Geschichte interessierte Julia kaum, denn die bloße Tatsache, dass der große Hippokrates hier einst seine Ärzteschule geleitet hatte, war möglicherweise eine interessante Anekdote, aber dann doch schon viele Hundert Jahre her. Die einstmals so angesehene Schule existierte gar nicht mehr und die besten Ärzte kamen, das wusste jeder, aus Gallien oder aus der Akademie von Magister Neumann, sollte diese überhaupt noch existieren.
Der Wein war ein etwas anderes Thema, da die Reben und die vielen Hinweise auf den Weinexport, die sich in der ganzen Stadt zeigten, sie an ihren Mann Martinus Caius erinnerten – und zwar sowohl an seine unmäßige Liebe für dieses Getränk wie auch an die Tatsache, dass Caius sich noch in Ravenna aufhielt, um zusammen mit seinem Vater auf die Besitztümer der Familie zu achten. Julia war alleine vor den nahenden Truppen des Maximus geflohen, auf einem Schiff der Familie ihres Schwiegervaters, zusammen mit dem ganzen Haushalt und ihrer Tochter. Hier auf Kos besaß der ältere Caius einige Weinberge und ein großes Landgut, auf dem Julia nunmehr Aufnahme und Unterschlupf gefunden hatte; verwaltet wurde es von einem vertrauenswürdigen Verwandten. Die Tatsache, von ihrem ungeliebten Mann getrennt zu sein, hatte merklich zur Verbesserung ihrer Stimmung beigetragen, nur dass sie dies nicht allzu deutlich zeigen durfte. Auch die Trennung von ihrer seit Geburt der Enkeltochter überfürsorglichen Mutter Lucia tat ihr gut.
Gegen die griechischen Inseln hatte Julia nichts einzuwenden. Das Landgut war schön gelegen und von einfacher, aber ausreichender Ausstattung. Astypalaia war nur wenige römische Meilen entfernt und bot neben dem obligatorischen Markt auch ein kleines Theater. Wäre der richtige, ihr wahrer Ehemann hier an ihrer Seite gewesen, Julia hätte sich mit der Existenz als Gutsherrin in diesem beschaulichen Teil des Imperiums durchaus arrangieren können. Hier war man auch weniger in Gefahr, von Truppen irgendwelcher Potentaten aus der Heimat vertrieben zu werden. Natürlich würde auch die Provinz Asia, zu der Kos gehörte, sich früher oder später für eine Seite erklären, aber letztlich würden die Inseln keine großartige militärische Rolle spielen. Man würde sich dem Sieger anschließen und dieser würde die Inseln in Frieden lassen – denn wer drehte schon gerne den Weinhahn des Imperiums ab? Auch machtgierige Schurken tranken gerne einen Schluck.
Ansonsten war es hier furchtbar langweilig und aus diesem Grunde gedachte Julia auch, möglichst bald abzureisen. Der höchste männliche Vertreter ihrer neuen Familie war ein entfernter Vetter ihres Mannes, der die Besitzungen hier leitete. Ein junger Mann, noch sehr unerfahren und abhängig vom Rat seiner hier seit langen Jahren arbeitenden Bediensteten. Vom Charakter her nicht ganz so unerträglich wie Julias Ehemann, interessierte er sich aber jenseits des notwendigen Mindestmaßes an Höflichkeit auch nicht weiter für seinen Gast. Er tat seine Pflicht, und solange Julia ihn in Ruhe ließ, schien er damit zufrieden zu sein, ihr jede Freiheit zu geben, nach der sie verlangte. Julia gedachte, diese offensichtliche Nachlässigkeit nach bestem Wissen und Gewissen auszunutzen.
So eine Gelegenheit ergab sich möglicherweise nie wieder.
Julia
Weitere Kostenlose Bücher