Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
einem langen, überdachten Annex, der zur groß ausgebauten Loge an der langen südöstlichen Längsseite führte. Direkt gegenüber war der Haupteingang für das gemeine Volk. In der Länge maß das Hippodrom mehr als 400 Meter, die Kehren hatten eine Breite von gut 120 Metern. An der südwestlichen Kehre saßen die meisten der Zuschauer in einem großen Halbrund, das stark an ein Amphitheater erinnerte. Insgesamt konnte die vollbesetzte Anlage rund 40 000 Zuschauer aufnehmen, und soweit Rheinberg das abschätzen konnte, würde die Kapazität zum aktuellen Anlass ausgelastet sein.
Rheinberg starrte auf die wogende Menge. Der Eindruck war unbeschreiblich. Es war, als wären die Zuschauer ein einziger, lebender Organismus. Er konnte das Hintergrundrauschen der Gespräche hören, das während des Rennens zu einem fanatischen Crescendo anschwellen würde. Jetzt aber wirkte dieses gigantische Lebewesen wie ein Raubtier in Lauerstellung. Es schien ruhig, ja fröhlich, doch Rheinberg wusste genug von der Orchestrierung der Massen, dass er ahnte, wie man dieses Tier wecken und für seine Zwecke nutzen konnte.
Und das war letztlich der Zweck des Hippodroms. Eine große Menge an Menschen manipulierbar zu machen, mit den Emotionen zu spielen. Es würde in der Zukunft der Stadt eine zentrale politische Rolle spielen.
Oder auch nicht.
Es änderte sich ja jetzt alles.
Die nordöstliche Kehre wurde durch einen beeindruckenden Torbau dominiert, geziert durch eine mächtige Quadriga. Durch dieses Tor kamen die Streitwagen in das Oval, um für das große Rennen Aufstellung zu nehmen.
Neben den sehr beliebten Wagenrennen fanden hier auch Versammlungen sowie Belustigungen anderer Art statt. Ohne Zweifel war es neben dem Circus Maximus in Rom das größte und beeindruckendste Bauwerk seiner Art. Trotz seiner Arbeit als Heermeister hatte Rheinberg ironischerweise Rom nie besuchen können. Es sprach für die Bedeutung von Konstantinopel, dass ihn die Fährnisse des Schicksals zuerst hierher getrieben hatten.
Rheinberg setzte sich. Bei ihm waren die meisten der Offiziere, die ihn begleitet hatten, sowie ein guter Teil des Konsistoriums, mit Modestus an seiner Spitze. Die Mannschaftsmitglieder der
Saarbrücken,
soweit sie nicht Dienst hatten, waren direkt zur Rechten der Loge in einem eigens dafür reservierten Sitzbereich platziert worden.
Der wichtigste seiner Begleiter, der noch fehlte, war Renna, der sich offenbar noch bei seiner Familie aufhielt und sich daher wahrscheinlich verspäten würde. Rheinberg nahm es ihm nicht übel. Wer wusste schon, wann man seine Lieben das nächste Mal wiedersehen würde?
Diese Frage stellte sich für ihn so nicht, da Aurelia direkt neben ihm saß. Sie war wunderschön in ihrem neuen Gewand, mit den aufgesteckten Haaren und dem Schmuck, der ihr aus den kaiserlichen Truhen leihweise überlassen worden war. Ein perfekter Anblick, der jedoch getrübt wurde durch das permanente Stirnrunzeln sowie die misstrauischen Blicke, die sie in alle Richtungen warf. Rheinberg meinte sogar, das Messer unter ihrem Gewand erblickt zu haben, die feine, dünne Klinge, mit der sie ihn einst hatte ermorden sollen.
Er musste zugeben, dass auch er eine Waffe bei sich trug, genauso wie die anderen Offiziere. Sie alle hielten sie verborgen, aber weniger, weil sie Aurelias Verdacht großen Glauben schenkten, sondern eher aus Gewohnheit. Der Überfall im saarländischen Sommerpalast, den Rheinberg und Dahms nur mit Mühe überstanden hatten, war ihnen Erinnerung und Mahnung zugleich.
Dennoch wirkte hier nichts bedrohlich.
Sklaven brachten Speisen und Getränke, der Ausblick war atemberaubend. Die Ränge füllten sich mit erwartungsvollen Zuschauern, das Wetter spielte auch mit, ein wolkenloser Himmel mit einer strahlenden Sonne sorgte für beinahe sommerliche Temperaturen. Eine erwartungsvolle Atmosphäre lag über der ganzen Szenerie und das Programm der Vorführung klang vielversprechend. Höhepunkt war natürlich das angekündigte Wagenrennen, ein Ausscheidungskampf mit 25 Beteiligten in fünf Läufen zu je fünf Wagen, deren Sieger dann in einem letzten Finallauf antreten würden. Zu Ehren des Heermeisters war ein hoher Goldbetrag für den Sieger ausgelobt worden, ein großer Ansporn für die Publikumslieblinge ebenso wie für ehrgeizige Neulinge. Alle wussten, dass sie das Beste sehen würden, was der Rennsport Konstantinopels zu bieten hatte, und alle freuten sich darauf.
Aurelias Stirnrunzeln wanderte wieder in
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