Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
vor dem Tor beäugte sie misstrauisch, erkannte Julia dann aber wieder und ließ sie kommentarlos ein. Der Geldverleiher tat so, als würde er sich über ihren Besuch freuen – tatsächlich wusste er bereits, dass die junge Frau ihre Reichtümer abzuholen gedachte, was ihn künftig um eine weitere Lagerprämie bringen würde. Dennoch ganz der solide Geschäftsmann, brachte er die Münzen und Schmuckstücke vollständig und in einwandfreiem Zustand hervor und händigte alles klaglos aus. Es dauerte keine halbe Stunde, dann traten die beiden Frauen, nun mit etwas mehr Gewicht beladen, wieder auf die Straße. Julias Blick wanderte kurz suchend umher, dann erspähte sie Racius an der vereinbarten Stelle, gleich gegenüber dem Haus des Geldverleihers. Sie trafen sich an einer Straßenecke.
»Ist alles bereitet?«, war Julias nervöse Frage, als sie die Begrüßung hinter sich gebracht hatten. Ihr war der leicht kummervolle Blick des Mannes aufgefallen.
»Nicht ganz, Edle«, erwiderte der ehemalige Legionär dann auch. »Das Schiff ist noch nicht eingetroffen. Ich habe mit dem Ladeagenten gesprochen und die Passage gebucht, wie vereinbart. Aber widrige Winde haben die Ankunft verzögert.«
»Es sollte gestern Abend eintreffen!«, mokierte sich Julia. Sie hasste es, wenn unkontrollierbare Einflüsse ihre Pläne durchkreuzten.
»Der Hafenmeister sagte, dass viele Schiffe auf einer benachbarten Insel Schutz gesucht hätten, als die Nacht anbrach«, meinte Racius. »Das passiere öfters. Er erklärte mir, unser Segler müsse in wenigen Stunden ankommen, wenn er heute Morgen bei Sonnenaufgang aufgebrochen ist.«
»Dann warten wir«, entschied Julia.
»Darauf bin ich vorbereitet«, sagte der Mann. »Es gibt eine ganz ordentliche Taverne in Hafennähe, keine allzu schlimme Absteige. Dort können wir die Bewegungen am Kai einsehen und gleichzeitig einigermaßen bequem die Zeit verbringen.«
Ohne weitere Diskussionen folgten die Frauen Racius, der sie zielsicher durch die Menge führte. Die Taverne lag im ersten Stock eines relativ hoch gebauten Gebäudes, und wenn sie sich an die Seeseite setzten, gab es in der Tat einen wunderbaren Überblick über den Hafen. Es waren relativ wenige Schiffe unterwegs, aber Hafenarbeiter richteten Karren in Position und Sklaven versammelten sich unter Aufsicht der Vormänner. Es war offensichtlich, dass alle die baldige Ankunft der Segler erwarteten. Große Fässer mit Wein waren an der Kaimauer aufgerichtet worden, sie stellten den Hauptanteil der Fracht dar, die die Insel verlassen würde. Julia sog die frische Brise mit vollen Lungen ein und stellte an sich eine wachsende Reiselust fest. Ihre Tochter schlief tief und fest in ihren Armen. Ihr tat die Seeluft augenscheinlich auch sehr gut.
Es dauerte zwei Stunden, dann war ein Mast sichtbar und ein großer Küstensegler glitt im Wind auf den Hafen zu. In der Ferne wurden zwei weitere Schiffe erkennbar. Im Hafen wurde es betriebsam. Racius erhob sich und wies auf das erste Schiff, das sich derweil zielstrebig dem Kai näherte.
»Das ist unseres!«, erklärte er mit sicherer Stimme.
Sie verließen die Taverne und gesellten sich zu den anderen Schaulustigen und Passagieren an die Kaimauer, durch einige eher gelangweilt aussehende Wachleute daran gehindert, dem Wasser zu nahe zu kommen. Der große Segler, offenbar von erfahrener Hand gesteuert, glitt in das Hafenbecken und dann fielen die Segel, um die restlichen Meter bis zur steinernen Mauer zu treiben.
Julia spürte plötzlich Claudias Hand an ihrem Arm. Sie sah die Sklavin an, deren Augen plötzlich weit aufgerissen waren.
»Herrin!«, flüsterte sie mit unterdrückter Aufregung. »Sieh dort!«
Julias Augen folgten der nun ausgestreckten Hand der Frau und dann fühlte sie, wie ihr trotz der wärmenden Kleidung, die sie trug, eiskalt wurde. Ihr entrang sich ein sanftes Stöhnen, wie der Laut eines Tieres, das tiefen Schmerz empfand. Racius war dies nicht entgangen und er sah sie sorgenvoll an.
»Alles in Ordnung, Herrin?«, fragte er besorgt.
»Nein«, erwiderte Julia heiser. »Ganz und gar nicht. Seht Ihr … der Mann dort an der Reling, bereit zum Aussteigen?«
Racius kniff die Augen zusammen. »Der Dicke in der Toga mit den Weinflecken?«
Julia ächzte etwas, ehe sie nickte und sagte: »Das ist mein Mann.«
Martinus Caius hatte es offenbar in Ravenna nicht mehr ausgehalten und war seiner Frau gefolgt.
Ein fürsorglicher, treuer Ehemann, sollte man meinen. Julias Vermutung
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