Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
ab. Der Wirt der Herberge, der gut vernetzt war im Hafen, sorgte für eine Passage auf dem nächsten Schiff, das in Richtung Konstantinopel in See stechen würde. Dort würde sie entsprechend ihrem ursprünglichen Plan ausharren, bis die Rückreise nach Ravenna ratsam erschien. Tatsächlich ging sie davon aus, dass diese unproblematisch sein würde. Ja, es herrschte Bürgerkrieg, aber die normalen Bewohner des Imperiums gingen weiterhin ihrer Arbeit nach und auch der Handel mit dem Westen war keinesfalls unterbrochen worden. Mochten die Herren sich streiten, die Bürger Roms hatten weiterhin das Bedürfnis, Geld zu verdienen, und ließen sich auch durch einen Krieg nicht davon abhalten.
Sie verbrachten die Nacht in der Herberge und verließen sie früh am kommenden Morgen. Der Küstensegler, der sie mitnehmen sollte, lief kurz danach aus und sie bekamen zusammen mit anderen Reisenden eine Kabine unter Deck zugewiesen. Julia fühlte sich relativ sicher. Ihre Mitreisenden waren kleine Händler und ein paar Beamte der Verwaltung mit Aufgaben in der Hauptstadt. Keine Halsabschneider, soweit sie das ermessen konnte. Sie erwartete eine ruhige Überfahrt, von der gelegentlichen Seekrankheit einmal abgesehen.
Als sie sich mit Claudia zu einem kargen, aber essbaren Mittagessen auf Deck zusammensetzte – es war ein wunderschöner Tag mit einem frischen, aber nicht bedrohlichen Wind, und die Gelassenheit der Seemannschaft sprach dafür, dass niemand irgendwelche Probleme erwartete –, fand Julia es an der Zeit, ein weiteres Kapitel zum Abschluss zu bringen.
Wie alle Passagiere mussten sich auch die beiden Frauen um ihre eigene Mahlzeit kümmern. Sie hatten sich entsprechende Vorräte eingepackt und konnten sich mit Zutaten an dem großen Kochtopf beteiligen, der über einer abgesicherten Feuerstelle hing – oder kalt essen. Die Seefahrt hatte bei beiden ein etwas mulmiges Gefühl im Magen hinterlassen, also hatten sie beschlossen, eher sparsam zu speisen. Ihre Mahlzeit bestand demnach aus getrockneten Früchten, etwas Brot, einem Stück Käse sowie dem verdünnten Wein, der als einziges Nahrungsmittel vom Schiffseigner kredenzt wurde.
Julia holte ein Pergament hervor, als sie mit dem Essen fertig waren. Ihre Tochter gluckste zufrieden schlafend vor sich hin. Seefahren schien ihr ausgesprochen gut zu bekommen, sie schlief viel und zeigte nicht einmal andeutungsweise Symptome der Seekrankheit.
Julia überreichte Claudia das Dokument. Diese nahm es mit fragendem Blick an sich. Da sie lesen konnte, war es ihr ein Leichtes, den Inhalt des Pergaments zu erfassen. Sie schaute es an, dann weiteten sich ihre Augen und sie sah Julia, ihre Herrin, mit Überraschung im Gesicht an.
Nur, dass Julia gar nicht mehr ihre Herrin war.
Die Urkunde bezeugte die Freilassung der Sklavin Claudia. Die junge Frau war frei und genoss damit entsprechend den gültigen Gesetzen auch sogleich das römische Bürgerrecht. Julia hatte rechtzeitig genug einen Magistratsbeamten bestechen können, die Urkunde zu beglaubigen. Es war eine lohnenswerte, eine überfällige, ja eine notwendige Investition gewesen .
Claudia ließ das Dokument sinken, ehe sie es sorgsam zusammenrollte und einsteckte. Es war jetzt, ohne Zweifel, ihr wertvollster Besitz.
Julia sagte erst einmal nichts, ehe sie dann nach einigen Augenblicken fast schüchtern die wichtigste Frage stellte.
»Du bist jetzt frei. Willst du dennoch für eine Weile in meinen Diensten bleiben? Ich zahle dir, was ich kann, als Kinderfrau und als Reisebegleiterin.«
Claudia lächelte. »Ich werde gerne weiterhin für Euch arbeiten, Herrin.«
Julia wirkte erleichtert, hob dann aber sogleich warnend die Hand. »Du hast meiner Tochter das Leben gerettet. Du bist keine Sklavin mehr, sondern frei. Ich sehe dich als meine Freundin an. Fortan möchte ich das Wort ›Herrin‹ nicht mehr aus deinem Mund hören. Ich kann nicht so tun, als wärst du von Adel – als ob dieser mir so viel nützen würde –, aber ich will nicht akzeptieren, dass du dich mir gegenüber unterwürfig verhältst. Das ist … es fühlt sich furchtbar falsch an.«
Julia war ein wenig über sich selbst erstaunt. Noch vor einem Jahr wären ihr solche Worte kaum über die Lippen gekommen. Jedoch nicht nur ihre christliche Erziehung, sondern auch die ablehnenden Worte von Thomas Volkert hatten ihr die jetzige, kritische Haltung zur Sklaverei in den Kopf gesetzt. Er wäre jetzt, so wollte sie glauben, rechtschaffen stolz auf das, was sie
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