Kaiserkrieger 6: Der Kaiser (German Edition)
über den Lebenswandel seiner Schwester. Eine Kindheit, die sehr unter Rigidität und Disziplin gelitten hatte, die Unerfüllbarkeit seines eigentlichen Lebenstraumes. Rheinberg war bei alledem härter geworden, zumindest insofern, als er sich nunmehr in der Lage sah, Herausforderungen zu begegnen, ohne sich von ihnen überrumpeln oder allzu sehr mitnehmen zu lassen. Es gab immer wieder Situationen, denen er mit Ratlosigkeit begegnete, manchmal auch mit Verzweiflung, aber nie für lange. Rheinberg, so sah er sich selbst, war jemand, der am Ende doch wieder auf die Füße fiel.
Auf der Basis dieser Philosophie nahm er auch gelassen hin, dass sich Aurelia, die Dame seines Herzens, jeden Morgen mit Hingabe erbrach, um anschließend ein zorniges Gewitter an Schuldzuweisungen auf ihren Mann einprasseln zu lassen, der schließlich für all das verantwortlich sei.
Vergessen war die anklagende Eloge der Aurelia ihm gegenüber, dass er das Wohl des Reiches über ihr privates Glück stelle, und vergessen die Tatsache, dass seine vorsichtige Hinhaltetaktik bezüglich eigenen Nachwuchses durch die Vollendung von Tatsachen konterkariert worden war – einer Vollendung, an der Aurelia mindestens genauso leidenschaftlich beteiligt gewesen war wie er selbst und ein gutes Stück berechnender dazu.
Vergessen war auch die kleine, aber sehr schöne Zeremonie, mit der Rheinberg und Aurelia sich vor wenigen Tagen offiziell in den Bund der Ehe begeben hatten, mit dem Kaiser als Zeugen, der Anwesenheit zahlreicher anderer Notabeln, einer lang anhaltenden und auserwählten Mahlzeit im Anschluss, vielen Glückwünschen und Geschenken. Rheinberg erinnerte sich in diesem Moment, als sich Aurelia über den Behälter neben ihrer Schlafstatt beugte, um mit lautem Röhren, unterbrochen von noch lauteren Flüchen, den Inhalt ihres Magens zu entleeren. Er erinnerte sich an ihre vor Aufregung und Stolz geröteten Wangen und das erfreute, geehrte Leuchten ihrer Augen, als Theodosius ihr als Geschenk ein wunderbares Diadem überreichte, besetzt mit Edelsteinen, sorgsam ziseliert von kunstfertiger Hand, ein Prachtstück, das von den anderen anwesenden Frauen mit allen erkennbaren Anzeichen brennenden Neides betrachtet wurde – was, wie Rheinberg fand, Aurelias Freude nur noch potenzierte.
Nun, all dies, so lebhaft es auch an diesem Morgen vor Jan Rheinbergs geistigem Auge stand, schien nun zumindest bei seiner Frau vergessen zu sein, und er konnte es ihr nicht einmal übel nehmen. Natürlich fanden sich auch hier in Afrika erfahrene Hebammen, die Aurelia die Begleitumstände einer Schwangerschaft in nicht wenigen Details beschrieben, aber Linderung brachten diese Hinweise im Regelfall nicht. Natürlich war Aurelia durchaus der Ansicht, dass ihr Ehemann auch zu dieser Zeit an ihrer Seite zu verweilen habe, wo sich andere Frauen in diesem Zustand dezent in eigene Gemächer zurückzogen – insbesondere dann, wenn der besagte Ehemann damit befasst war, eine entscheidende Schlacht um den Fortbestand des Reiches und die Herrschaft seines Kaisers zu planen, vor allem des Kaisers, der doch dieses wunderschöne Diadem …
Nein, Aurelia neigte nicht dazu, allzu dezent zu sein.
Rheinberg sah ihr dabei zu, wie sie ein sauberes Tuch nahm und sich den Mund abwischte, ehe sie sich stöhnend im Bett aufsetzte und ihn böse ansah. Der stechende Geruch des Erbrochenen verbreitete sich – wie jeden Morgen – in der warmen Luft des anbrechenden Sonnentages und verdarb Rheinberg – wie jeden Morgen – den Appetit aufs Frühstück. Das traf sich gut, denn Aurelia konnte sowieso nach einer solchen Attacke erst einmal nichts essen und betrachtete jeden Versuch ihres Mannes, Nahrung aufzunehmen, mit in etwa der gleichen Freude wie Rheinberg Aurelia dabei zusah, wie sie diese wieder von sich gab.
Hinter alledem, so war er sich sicher, als er seine Frau begütigend anlächelte und ihr die Hand tätschelte, stand so etwas wie göttliche Gerechtigkeit. Er war bereit, dies zu ertragen, nicht zuletzt deswegen, weil er der stinkenden Suffragette neben ihm herzlich zugetan war, aber dennoch erlaubte er sich die Hoffnung, dass dieses Stadium der Kindesproduktion bald überstanden war. Immerhin hatte er sich damit durchgesetzt, dass Aurelia ihn nicht zum Schlachtfeld begleiten würde. Stattdessen verblieb sie in Hadrumentum, wohnhaft in der Kapitänskajüte der Saarbrücken , zweifelsohne dem sichersten Ort im gesamten Imperium.
Heute würde er wieder nach Mactaris
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