Kaiserkrieger 6: Der Kaiser (German Edition)
waren. Er konnte das Risiko nicht eingehen, ein zweites Mal aufgegriffen zu werden. Er würde damit sein Glück nur unnötig herausfordern.
Nach weiteren zehn Minuten hatte Godegisel eine nach seiner Ansicht sichere Distanz zu den Truppen erreicht. Er fand einen großen Stein am Wegesrand, der sich gut als Sitzplatz eignete. Er fühlte sich erschöpft und überfordert. Sein Körper fühlte sich müder an, als er eigentlich sein durfte. Er wusste nicht, ob es nur Einbildung war, aber er fühlte seine Pestnarben, als ob sie brennen oder jucken würden. Er beherrschte sich, wollte es durch wildes Kratzen oder Reiben nicht noch schlimmer machen.
Er stützte den Kopf in die Hände.
Die Dunkelheit der Nacht machte sich auch in seinen Gedanken breit. Doch warum eigentlich? War es so schlimm, wenn Maximus die Schlacht gewann? Er war sicher kein schlechterer Kaiser als andere, ja, was man so hörte, war er in vielen Dingen kompetent. Er würde einen radikaleren religiösen Kurs verfolgen, doch war das nichts, was Godegisel weiter betraf. Er war Arianer, wie die meisten Goten, aber es war unwahrscheinlich, dass es zu so etwas Radikalem wie Pogromen kommen würde. Das unterbevölkerte Rom brauchte die Goten. Das wusste auch Maximus. Und er selbst, Godegisel? Er konnte alles tun, alles werden. Seemann. Fuhrmann. Köhler.
Ja, Köhler.
Godegisel rieb sich über die Augen.
Er erhob sich.
Er öffnete sein Bündel, holte seine bescheidenen Vorräte hervor. Mit methodischen Bewegungen steckte er sich Nüsse und Brot in den Mund, kaute und schluckte. Er aß, bis nichts mehr übrig war, und das dauerte nicht lange. Dann griff er zum Wasserschlauch, trank ihn halb leer. Daraufhin band er ihn sich auf den Rücken.
Er sah auf den Rest des Gepäcks hinab, schüttelte sacht den Kopf.
Das blieb hier.
Er holte tief Luft.
Er war so ein Narr! Aber er konnte einfach nicht aus seiner Haut.
Godegisel, der Gote, begann zu rennen.
28
»Meint er das ernst?«
Für einen Moment herrschte völlige Stille im Zelt des Kaisers. Die Versammelten schwiegen, weil sie alle etwas überrumpelt worden waren. Als ein Bote das Feldlager erreicht hatte und eine Nachricht des Maximus hatte übergeben wollen, war hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Theodosius hatte alle wichtigen Männer zusammengerufen und dann den Brief selbst laut vorgelesen. Niemand schien als Erster etwas sagen zu wollen, selbst die mit ungläubigem Unterton vorgebrachte Frage des Kaisers blieb erst einmal unbeantwortet.
Theodosius sah auf das Pergament. Rheinberg sagte nichts. Er war bleich. Er wollte das nicht. Seine Ablehnung hatte nichts mit dem Vorschlag des Maximus zu tun. Der Usurpator wollte reden, schlug ein Treffen vor der Schlacht vor. Reden statt kämpfen – oder Reden vor dem Kämpfen. Beides war Rheinberg durchaus recht.
Doch es waren nicht nur die beiden Kaiser, die sich treffen sollten. Nein, Maximus regte an, dass auch die beiden Heermeister zugegen sein sollten. Auch das war natürlich grundsätzlich richtig. Aber es würde bedeuten, dass Rheinberg mit von Klasewitz aufeinandertreffen würde.
Und das wollte Rheinberg nicht.
Würde er sich beherrschen können? Wäre er in der Lage, dem Meuterer, Verräter und Deserteur das absolute Mindestmaß an Höflichkeit entgegenzubringen, das nötig war, um das Treffen nicht von vornherein ad absurdum zu führen? Der Gedanke an den Freiherrn löste immer noch und immer wieder einen Sturm von Gefühlen bei Rheinberg aus. Alles kochte in ihm hoch. Verachtung. Hass. Anders konnte man es nicht nennen.
Rheinberg wollte für sein Verhalten bei so einem Treffen nicht bürgen.
Das war möglicherweise beschämend für jemanden in seiner Position. Aber es war, wie es war.
»Ich denke, es schadet nicht. Und ich halte es für ein wichtiges, ja notwendiges Gespräch«, sagte Richomer. Er beugte sich nach vorne, den Blick auf Theodosius gerichtet. »Versteht mich nicht falsch. Ich bin bereit für die Schlacht. Ich denke, wir haben eine gute Chance zu gewinnen. Doch wenn es auch nur eine sehr kleine Möglichkeit gibt, zu einer Einigung zu kommen …«
Protest erhob sich. Offiziere ergriffen das Wort.
Rheinberg runzelte die Stirn, widerstand dem Impuls, Richomer aus völlig egoistischen Motiven ins Messer laufen zu lassen. Er holte tief Luft.
»Richomer hat recht!«, sagte Theodosius laut in die Runde. Sofort trat Stille ein. Alle Augen richteten sich auf Theodosius, der dann gemessen nickte.
»Richomer hat
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