Kaiserkrieger 6: Der Kaiser (German Edition)
recht«, wiederholte er. »Die Chance ist sehr gering. Doch er will mit uns reden, im kleinen Kreis, ohne großes Publikum. Das ist mehr als nur ein Propagandatrick. Ob es für ihn nur eine notwendige Formalität ist, um das Gesicht zu wahren, weiß ich nicht. Er hat Gratian auf dem Gewissen und schickt sich an, einen weiteren Kaiser zu töten. Vielleicht sucht er nach Legitimität für sein Handeln, indem er mir die Chance gibt, ein Friedensangebot auszuschlagen, das so formuliert ist, dass ich es unmöglich annehmen kann. Aber das ist egal, denn ich muss letztlich aus exakt dem gleichen Grund zusagen. Würde ich das Gespräch ablehnen, wäre seine moralische Position besser. Ich habe aber die gleichen Sorgen wie er, so seltsam das jetzt auch klingen mag.«
Der Spanier sah Rheinberg an.
»Für Euch ist es natürlich sehr schwer, Heermeister.«
Rheinberg verbarg seine leichte Überraschung über diese Demonstration von Einfühlungsvermögen. Er neigte den Kopf und fuhr sich über das Haar.
»Majestät, ich finde die Frage viel interessanter, was passiert, wenn er ein ernsthaftes Angebot macht – eines, das nicht so verrückt ist, dass wir es nicht annehmen können«, erwiderte er dann, sehr danach bestrebt, das Gespräch von seinen persönlichen Befindlichkeiten abzulenken.
»Was für ein Angebot könnte das sein?«, fragte von Geeren, der dem Kriegsrat ebenfalls angehörte.
»Das Gleiche, das er Theodosius in unserer Vergangenheit gemacht hat«, erklärte Rheinberg.
Theodosius sah ihn an. »Welches war das?«
»In unserer Vergangenheit kam es auch zum Bürgerkrieg. Auch dort hat Maximus durch Verrat Gratian getötet. Dann war für eine ganze Weile ein Stillstand zu erkennen: Theodosius etablierte sich im Osten, während Maximus seine Herrschaft im Westen festigte. In dieser Zeit versuchte Maximus, sich mit Theodosius dahingehend zu einigen, dass sie, wie schon vorher üblich, die Reichsherrschaft teilen und damit den Bürgerkrieg beenden würden. Maximus rechnete damit, dass die Anstrengung des Wiederaufbaus der Ostarmee und der Schutz der Ostgrenzen zu viel sei, um eine weitere Auseinandersetzung zu rechtfertigen. Maximus hat damals unterschätzt, dass der Osten der bei Weitem wohlhabendere Reichsteil gewesen ist. Theodosius, erbost über den Verrat an Gratian, nahm das Angebot nicht an, baute die Ostarmee wieder auf und zwang Maximus schließlich in die Knie.«
»Die Situation ist heute anders«, sinnierte Richomer. »Der Osten ist von der Pest bedroht, wir haben keine funktionsfähige Armee des Ostens mehr. Und wir müssen die Entscheidung in Afrika suchen, wohin wir mehr oder weniger geflohen sind.«
»Ja, aber die Situation ist für Maximus nicht so viel anders«, gab der Kaiser zu bedenken. »Er hat nicht notwendigerweise ein Interesse an einem sich endlos dahinziehenden Bürgerkrieg. Auch er weiß, dass die Pest vor dem Westen nicht Halt machen wird. Ein völlig gelähmtes Reich ist auch für ihn keine sehr attraktive Alternative. Würden wir auf einen solchen Vorschlag eingehen, wäre ihm gedient. Er hat ihn in Rheinbergs Vergangenheit Entscheidungen auf der Basis einer gewissen eigenen Haltung getroffen, und diese Persönlichkeit ist er ja auch in unserer Zeit, so viel steht fest. Ich denke, dass der Heermeister recht hat: Maximus wird uns vorschlagen, den Krieg zu beenden und das Reich zu teilen.«
»Wenn das so ist, wollen wir diesen Vorschlag dann annehmen?«, fragte von Geeren. Wieder richteten sich alle Blicke auf Theodosius, der in die Flammen der gusseisernen Feuerstelle starrte, die im Zelt aufgebaut war. Der Spanier ließ sich nicht zu einer Antwort drängen. Er überlegte gründlich. Rheinberg war sich sicher, dass diese Frage Theodosius nicht das erste Mal bewegte. Der Mann dachte voraus, war trotz seiner Spontanität jemand, der überlegt zu handeln verstand. Seine Gefühlsausbrüche hatte er besser unter Kontrolle als der historische Theodosius, von dem Rheinberg wusste. Bedeutete dies auch, dass er gleichermaßen entschlossen war, ein Angebot des Maximus abzulehnen?
Rheinberg sah in das konzentrierte Gesicht des Kaisers und es war ihm, als würde sich darauf eine Antwort abzeichnen – oder war es nur seine eigene Kriegsmüdigkeit, die ihn Entsprechendes hoffen ließ. Ja, natürlich, es wäre ihm ein Dorn im Auge, wenn von Klasewitz damit dauerhaft als Heermeister des Westens etabliert bliebe, eine ständige Erinnerung an Verrat und Meuterei. Aber war er etwa nicht bereit, diesen
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