Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Tatsächlich waren die Reformen in seinen Augen noch nicht einmal genug, wie radikal sie manchen auch erschienen mögen. »Aber es geht um das schiere Überleben des Reiches .«
Gratian nickte gedankenverloren. Er seufzte, ehe er fortfuhr.
»Die Auflösung der Berufspflicht hat wenig Aufschrei verursacht. Die Umwandlung von Zünften und anderen Vereinigungen in rein freiwillige Assoziationen auch nicht. Ich hatte sogar das Gefühl, dass viele es als Befreiung ansahen. Es erhöht jetzt aber auch den Druck, denn die Berufe stehen jetzt scharf im Wettbewerb um den besten Nachwuchs .«
»Das ist gut und genauso beabsichtigt«, ergänzte Rheinberg. »Wir brauchen Qualität, vor allem dann, wenn wir die technischen Neuerungen im ganzen Reich einfügen wollen, über die wir gesprochen haben .«
Gratian kratzte sich am Kopf. »Der größte Brocken aber ist die Sklavensteuer. Eine regelmäßige Abgabe für jeden erwachsenen Sklaven in Privatbesitz, eine einmalige Abgabe für jeden in Sklaverei Geborenen und ein Steuernachlass für jeden, der in Freiheit entlassen wird. Eine Umsatzsteuer von zwanzig Prozent auf den Sklavenhandel.«
Er fixierte Rheinberg wieder ganz genau. »Wir wissen beide, worauf das hinauslaufen soll, Heermeister. Ich bin ein Christ und habe ein ganz grundsätzliches Problem mit der Sklaverei. Sie scheinen diesen Vorbehalt zu teilen. Diese Steuer wird dazu führen, dass Sklaven teuer werden. Teurer sogar als freie Arbeitskräfte, denn zusätzlich zur Steuer muss der Besitzer ja auch Nahrung und Unterkunft bezahlen .«
»Die Sklaverei ist es, die den Fortschritt Roms gehemmt hat«, wiederholte Rheinberg ein altes Argument, mit dem er Gratian von der neuen Steuer überzeugt hatte. »Wenn eine Wirtschaft auf billige und zahlreiche Arbeitskräfte zurückgreifen kann, muss sie sich keine Mühe damit geben, neue Technologien zu entdecken, die die Produktion verbessern, vereinfachen und beschleunigen. Und wenn wir, die Zeitenwanderer, unsere neuen Techniken in die Breite des Reiches exportieren wollen, werden die Menschen sie nicht annehmen. Sie werden sagen: ›Wozu das alles? Das können doch Sklaven machen! Es gibt doch genug von ihnen !‹ Erinnert Euch an das Geschrei, als wir nach Thessaloniki mit den Goten einen Ansiedlungsvertrag geschlossen haben, anstatt 50.000 neue Sklaven zu unterjochen! Es gibt also sicher ein moralisches Argument, aber es gibt auch ein wirtschaftliches. Imperator, wir müssen die Sklaverei abschaffen, damit Rom gestärkt wird !«
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnete Gratian. »Aber ich muss wohl immer wieder davon überzeugt werden. Der halbe Senat verflucht mich wegen dieser Sache. Die ganzen Latifundienbesitzer!«
»Erklärt ihnen, dass jeder Freigelassene ein potenzieller Rekrut für die Legionen ist«, schlug Rheinberg vor. »Sklaven dürfen keine Soldaten werden und Soldaten brauchen wir. Wenn wir das Heer der Sklaven in Freie verwandeln, werden manche in sich nicht auch den Ruf nach dem Waffenhandwerk verspüren? Gerade jetzt, wo wir die Soldstruktur verändert haben – und die Steuerprivilegien der Veteranen nicht angetastet ?«
Die akute Personalnot der Streitkräfte und die massiven Schwierigkeiten, Freiwillige für den Waffendienst zu finden, waren die größten Herausforderungen, denen Rheinberg nach seiner Ernennung zum Heermeister gegenübergestanden hatte. Schnelle Reformen waren notwendig gewesen – doch so ein Koloss wie das Römische Reich bewegte sich nur sehr langsam.
Das war auch Gratians Problem. In der originalen Zeitlinie war er gestorben, weil er vergessen hatte, was es bedeutete, ein Kaiser zu sein. Die endlosen Jagdausflüge mit seinen alanischen Reitern, die Vernachlässigung der Bedürfnisse der Streitkräfte und die Tatsache, dass er den hohen Erwartungen, die man an den Sohn des großen Valentinian stellte, nicht entsprechen konnte. Die Ankunft der Zeitreisenden und die Konfrontation mit diesem Schicksal hatten in Gratian einen tief greifenden Wandlungsprozess ausgelöst. Jetzt wollte er ein Kaiser sein und sich um die richtigen Dinge kümmern, gute Entscheidungen treffen und dafür sorgen, dass das Reich zusammenhielt. Doch jetzt war es genau diese Entschlossenheit, die seine Situation immer unsicherer machte.
Rheinbergs Ziel war es gewesen, den langen Bürgerkrieg, der auf den Tod Gratians folgte, zu verhindern, um das Reich auf den Ansturm der Hunnen und all jener Völkerschaften, die diese vor sich hertrieben, vorzubereiten. Jetzt aber
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