Kaiserkrieger: Der Aufbruch
andere Zeit«, beharrte Ambrosius, dem offensichtlich keine bessere Antwort einfiel. Christ oder nicht, der Respekt vor den Vorfahren war tief in die römische Seele eingegraben und auch der hitzköpfige Bischof konnte sich davon nicht gänzlich freimachen.
»Es ist eine andere Zeit«, bestätigte Gratian. »Die Hunnen schert es nicht, ob wir Christen sind oder dem Jupiter opfern, ob der Soldat, der das Schwert führt, zu Mithras betet oder zu Sol Invictus. Sie sehen den römischen Soldaten und das, was er beschützt, den Reichtum des Imperiums. Sie kümmern sich nicht darum, ob Christus eins mit Gott ist oder von ihm getrennt und ob jenes Konzil dieses sagte oder dieses Konzil jenes. Und sind die Hunnen darin allein? Was ist mit den Goten, die sich selbst Christen nennen ?«
»Arianer«, spie Ambrosius heraus.
»Wie dem auch sei. Haben die Goten nicht vor Adrianopel meinen Mitkaiser Valens geschlagen und das Reich in den Grundfesten erschüttert? Und was ist mit den Parthern, Bischof? Kümmert es das Parthische Reich, ob wir jene oder diese Glaubensgrundsätze verfolgen? Ist Julian Apostata deswegen in persische Gefangenschaft geraten, weil er gegen das Christentum eintrat ?«
»Ja, Gott hat ihn gestraft !«
»Er hat eine Entscheidung aus freiem Willen gefällt«, murmelte Rheinberg. »Vielleicht war diese Entscheidung dumm, aber warum sollte Gott ihn dafür bestrafen, von seinem Recht Gebrauch gemacht zu haben ?«
Ambrosius ignorierte ihn.
Gratian seufzte.
»Bischof, die Hunnen schert all dies nicht, wie auch die meisten unserer restlichen Feinde nicht. Das Imperium dient dem Imperium. Wenn wir nicht mehr sind, ist nichts mehr. Das ist die größte Verantwortung, das ist die höchste Aufgabe. Und dazu brauche ich die Hilfe aller, Ambrosius. Die Hilfe jener, die wie Symmachus an die alten Götter glauben. Die Hilfe der Trinitarier. Die Hilfe der Arianer. Die Hilfe der Manichäer. Die Hilfe der Anhänger des Mithras und der Osiris und des Sonnengottes. Die einigende Idee heißt Rom. Darauf sollten sich alle einschwören lassen und das geht nur, wenn ich ihnen eben nicht vorschreibe, was sie sonst noch glauben sollen. Wen sie anbeten. Das muss jeder mit sich und seinen Göttern ausmachen, wie ich es jeden Tag tue, wenn ich bete .«
Gratian seufzte erneut. Er wirkte sehr müde, fast so müde wie Rheinberg, und für einen winzigen Moment wollte Ambrosius wieder Mitleid mit ihm haben.
Nur einen sehr kurzen Moment.
Er erhob sich. Es war klar, dass der Imperator seine Entscheidung getroffen hatte. Die Worte rangen in den Ohren des Bischofs. Er verstand sie auf einer abstrakten, rationalen Ebene. Er wollte aber nicht weiter darüber nachdenken, nicht erkennen, wo sie vielleicht Sinn haben könnten und wo nicht. Er kannte sein Ziel. Am Ende war es die Staatskirche – die Kirche für den Staat, der Staat für die Kirche, beides untrennbar miteinander verbunden und beide vereint in dem Bestreben, den wahren Glauben zu verbreiten.
In- und außerhalb des Imperiums.
Nichts anderes zählte.
Nichts anderes war wichtig.
Und wer diesem Ziel im Wege stand, der würde von der Macht dieser notwendigen Entwicklung dahingefegt werden.
Es gab noch einige wenige Grußformeln. Die Atmosphäre war unterkühlt. Beide Seiten wussten, was sie voneinander zu halten hatten. Und als sie noch Höflichkeiten austauschten, überlegten sie auch beide, was jetzt passieren würde, welche Konsequenzen unausweichlich und welche vielleicht vermeidbar waren. Die Unsicherheit darüber war bei Gratian und Rheinberg sicher stärker als beim Bischof von Mailand, der genau wusste, was zu tun war und wohin ihn diese Taten unweigerlich führen würden.
Gott, dessen war er sich sicher, war auf seiner Seite.
Ambrosius wehrte alle Fragen und Kommentare seiner entrüsteten Brüder ab, als er raschen Schrittes den Palast durchmaß und wieder in der Eingangshalle ankam, die von Öllampen erleuchtet wurde. Die Künstler, die am Mosaik arbeiteten, hatten für heute Schluss gemacht, die Baustelle lag verwaist im schwummrigen Licht der Lampen. Für einen winzigen Moment spürte Ambrosius das Bedürfnis, es gewaltsam aufzureißen, darauf herumzutrampeln. Er wusste, dass seine Brüder sich daran beteiligt hätten, und sei es nur, um dem Bischof zu gefallen.
Er atmete tief durch, warf einen Blick auf die Wachsoldaten, die in Nischen an der Wand standen, scheinbar unbeteiligt und unachtsam – aber Ambrosius wusste es besser. Er senkte den Kopf und eilte
Weitere Kostenlose Bücher