Kaiserkrieger: Der Aufbruch
kein vertrautes Gesicht erkennen. Spielten ihm seine Sinne doch einen Streich?
»Thomas! Hier!«
Da war sie.
Es war Julia!
Sie war es tatsächlich!
Volkert glitt aus seinem Sattel, stolperte fast, rannte auf die junge Frau zu, fiel ihr in die weit geöffneten Arme, drückte sie an sich, versank ganz in der Umarmung. Er ignorierte die vielsagenden Blicke der anderen Legionäre, hörte ihre anzüglichen Kommentare nicht. Sein Gesicht im Haar der Geliebten verborgen, atmete er ihren Duft ein, konnte nicht genug davon bekommen, klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender an das rettende Stück Holz.
»Julia! Um Gottes willen! Wie hast du mich gefunden ?«
Julia rang um Worte. Dann schließlich, nach einem tiefen Aufschluchzen, brachte sie einen Satz heraus.
»Ich hatte Hilfe! Oh Thomas! Ich bin erst seit wenigen Stunden in der Stadt und habe erst jetzt vom Aufbruch eurer Expedition gehört! Ich bin sofort hierher geeilt! Ich habe sofort geahnt, dass sie dich auch schicken würden! Thomas! Wann werde ich dich wiedersehen? Wann nur?«
All die verzweifelte Hoffnung sprach aus ihren Worten, die lange Zeit der Trennung. Es sprudelte aus ihr heraus, die Hochzeit mit dem ungeliebten Martinus Caius, der gerade jetzt in einer Taverne saß und seiner Lieblingsbeschäftigung nachging. Und dann, sie konnte, nein wollte es nicht für sich behalten, die freudige, die schmerzliche, die wichtigste Neuigkeit: dass sie ein Kind haben würde. Ihr gemeinsames Kind.
Thomas Volkerts Kind.
Es war fast zu viel für ihn.
Für einige Momente klammerten sie sich nur weiter aneinander, da Worte nicht mehr ausdrücken konnten, was sie empfanden. Dann lösten sie sich. Er blickte ihr ins Gesicht, seine Gedanken rasten. Es war keine Zeit.
»Wir brechen in Kürze auf, Julia«, brachte Volkert hervor. »Wir werden lange unterwegs sein. Du musst dich um unser Kind kümmern. Versprich mir das .«
»Ich verspreche es .«
»Wenn ich zurückkomme, möchte ich einen Ort wissen, an dem ich eine Nachricht an dich hinterlassen kann .«
Julia überlegte nicht lange.
»Hier in Lauriacum gibt es das Haus des Lucius Verenicus Utellus. Er gehört zu den städtischen Honoratioren und hat einen Sklaven, einen Schreiber namens Remius. Er ist gut angesehen und wird sicher in seinem Dienst bleiben. Die Schwester des Remius ist meine Leibsklavin, und sie tauschen regelmäßig Briefe aus. Wenn du wieder da bist, wende dich an diesen Remius, Bruder der Claudia, Sklavin in Ravenna. Er wird eine Nachricht übermitteln können, die ich zu Gesicht bekomme, ohne dass …«
»Sag es, es stört mich nicht«, log Volkert tapfer.
»… mein Gatte es merkt«, brachte sie hervor. »Thomas, ich konnte es nicht verhindern .«
»Ich mache dir keinen Vorwurf. Es ist ein sicheres Zuhause. Es hilft dir, für unser Kind zu sorgen. Das ist alles, was jetzt zählt. Wenn ich zurückkomme, melde ich mich. Wir werden uns treffen und einen Plan schmieden. Bis dahin hab Vertrauen .«
Julia nickte, versuchte, sich die Tränen aus den Augen zu wischen, doch es drang immer neue Feuchtigkeit nach.
»Ich vertraue dir. Du musst nur überleben. Oh, Thomas, bitte, das ist dein Versprechen: Kein Hunne, keine Krankheit, kein Unfall wird dich mir nehmen !«
Volkert vergrub sein Gesicht in ihren Haaren, strich ihr sanft über den Rücken. »Ich gelobe es«, wisperte er in ihr Ohr. »Es ist mein heiliger Schwur. Ich kehre zurück und du wirst von mir hören .«
»Dann schwöre ich dir, zu warten und gut für unser Kind zu sorgen«, flüsterte sie zurück. Ihre Stimme war nun fester. Sie schob Volkert etwas von sich, löste ein Tuch von ihrem Gewand, das sie um den Hals getragen hatte. Dann lächelte sie schüchtern.
»Es ist etwas albern«, sagte sie dann, fast scheu. »Aber mehr kann ich dir nicht geben. Behalte es bei dir .«
Volkert nahm das Tuch entgegen, drückte es an sein Gesicht, atmete ihren vertrauten, schmerzlich vermissten Duft ein. Dann faltete er es sorgsam zusammen und steckte es in eine Tasche an seinem Gürtel.
»Das ist nicht albern«, sagte er mit belegter Stimme. »Es wird mir Trost und Erinnerung an meinen Schwur sein. Ich danke dir dafür, Julia. Mit diesem Geschenk werden meine Nächte niemals einsam sein und jede Verzweiflung, die mich ergreifen mag, will ich damit ersticken .«
Die Worte aus Volkerts Mund, voller Ehrlichkeit und aufrichtig, ließen wieder Tränen in die Augen Julias schießen. Sie öffnete den Mund und wollte noch etwas sagen, als von der
Weitere Kostenlose Bücher