Kaiserkrieger: Der Aufbruch
ist. Kennen wir sie nicht, basieren wir unsere Entscheidungen auf Zufällen. Manchmal liegen wir richtig, manchmal nicht. Aber ich glaube nicht, dass wir jemals von Gott verurteilt werden dafür, dass wir frei gewählt haben .«
»Die Kirche hat Regeln, nach denen man sich richten kann«, argumentierte Ambrosius.
»Ja, und da sind nicht einmal dumme Regeln dabei. Aber die Ungläubigen strafen, ihnen Hab und Gut nehmen, sie töten? Und jene Christen, die die Wahrheit etwas anders interpretieren, mit brennenden Fackeln jagen, ihren Besitz vernichten, Feuer legen, ihnen alle Rechte aberkennen? Ich weiß nicht. Was ich weiß: Ich habe einen freien Willen. Also gewähre ich diesen auch allen anderen, denn wer bin ich, dass ich Gott widerspreche ?«
Ambrosius öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ihm war mit einem Male klar, dass jedes weitere Argument, die Fortsetzung dieses Streits, möglicherweise seinem Ziel entgegenstand, Gratian doch noch für seine Sache zu gewinnen.
Seine beiden Mitbrüder hatten den Disput in fassungslosem Entsetzen verfolgt, eine Mischung aus Wut, Abscheu und Unverständnis in ihren Gesichtern. Das war gut, fand Ambrosius. Es war das, was er erhofft hatte. Nur war es nicht Gratian, der all diese Worte gesprochen hatte, sondern Rheinberg, von dem er nichts anderes als Häresie und Defätismus erwartet hatte. Er wollte diese Worte abtun, abstreifen, sie sich nicht zu Herzen kommen lassen. Rheinberg war nicht wichtig. Er würde sterben. Er musste ausgelöscht werden. Das war beschlossen und besiegelt.
Aber dieser junge Kaiser. Ambrosius’ Augen ruhten auf dem Gesicht Gratians, auf dem sich eher Ratlosigkeit widerspiegelte. Dieser junge Kaiser. War er zu retten? Oder war es möglich, sein Schicksal hier, in den Augen seiner Zeugen, ebenso wie das des Magister Militium zu besiegeln?
»Und, Augustus«, wandte er sich nun direkt an den Kaiser. »Habt Ihr die Worte Eures Heermeisters gehört ?«
»Das habe ich .«
»Ist es das, was Ihr denkt und befürwortet ?«
Gratian sagte nichts, dachte nach. Dann, nach einigen Sekunden, seufzte er und reckte sich.
»Ambrosius, ich achte Euch sehr .«
»Danke, Augustus.«
»Ihr seid ein kluger Mann und werdet von vielen respektiert. Euer Wort hat Gewicht und oft genug sprecht Ihr weise. Gerne hätte ich, dass Ihr an meiner Seite steht .«
»Ich will an Eurer Seite stehen, Augustus. Doch manche Eurer Entscheidungen und die Wahl Eurer Ratgeber machen mir dies nicht einfach .«
Ambrosius musste nicht einmal einen bedeutungsvollen Blick auf Rheinberg werfen, damit jeder wusste, wen er im Speziellen damit meinte.
»War Galerius dumm, Bischof ?«
Rheinberg wusste, dass der Kaiser sich auf den Mitkaiser des großen Konstantin bezog, den eigentlichen Urheber des berühmten Toleranzediktes, das anschließend oft fälschlicherweise Konstantin zugeschrieben wurde. Vom Krebs gezeichnet war es eine der letzten Amtshandlungen des Galerius gewesen, dieses Edikt zu unterzeichnen. Dass Konstantin anschließend in meisterhafter Machtpolitik das Potenzial der christlichen Religion für sich entdeckte, hatte seine Rolle in der historischen Betrachtung ungleich größer erscheinen lassen.
»Galerius tat wohl, den Christenverfolgungen ein Ende zu bereiten .«
»Warum dann neue Verfolgungen einleiten ?«
»Es ist jetzt eine andere Zeit. Die Nachricht Christi ist an das Ohr vieler gelangt. Es ist nunmehr notwendig, den Staat als Werkzeug Christi zu begreifen. Es ist die große Aufgabe des Imperiums, dem rechten Glauben zum Erfolg zu verhelfen .«
»Da unterscheiden sich unsere Auffassungen, Bischof«, sagte Gratian sanft. Er erhob sich nun, strich seine Toga glatt und blickte für einen Moment sinnierend in das Feuer des Kamins, der den Raum erwärmte.
»Ich gebe zu, einstmals habe ich so gedacht wie Ihr, Bischof. Der Staat als Werkzeug Gottes. Das Imperium als Vollstrecker der christlichen Botschaft. Ausonius hat mich dies gelehrt .«
»Ausonius ist ein weiser Mann. Hört auf seine Worte .«
»Ich denke, dass er sich irrt. Das Imperium dient vor allem erst einmal einem Zweck: nämlich sich selbst, der eigenen Erhaltung, der Schaffung eines Rahmens des Rechts und der staatlichen Ordnung, der Bewahrung der Zivilisation. Und die besteht aus mehr als der Kirche oder dem Glauben. Rom ist alt, Ambrosius. Wollt Ihr, dass wir die Jahrhunderte vergessen, die uns so weit gebracht haben? Sollen wir die Taten der Vorfahren tadeln? Ist all das nichts wert ?«
»Es ist eine
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