Kaiserkrieger: Der Aufbruch
erwiderte Ambrosius fest. »Wie sonst können die Menschen Gott erblicken? Wir nehmen das Opfer des Gottessohns an und dadurch erlangen wir Gnade .«
Rheinberg nickte nachdenklich.
»Aber Gott hat uns nach seinem Ebenbild erschaffen .«
»Das stimmt .«
»Wenn er das getan hat, sind wir doch Teil der Schöpfung, ja, manche würden gar behaupten, ihre Krone .«
»Sicher haben wir im Schöpfungsplan eine exaltierte Stellung und Aufgabe – aber auch Verantwortung«, meinte Ambrosius. Er wollte diese Diskussion nicht mit Rheinberg führen, sondern mit dem Imperator. Gratian aber hörte dem Disput still und aufmerksam zu.
»Und der Gott, der uns mit dieser exaltierten Aufgabe erschaffen hat, ist ein gnadenvoller Gott ?«
»Das ist er. Er ist bereit, uns zu verzeihen, wenn wir uns ihm zuwenden. Seine Güte ist grenzenlos .«
»Ich verstehe .«
Rheinberg schloss die Augen.
»Und er gab uns den freien Willen, zu tun, was wir für richtig halten ?«
»Das tat er. Nicht zuletzt ein Grund für den Sündenfall. Gott gab uns auch die Freiheit, das Falsche zu tun .«
»Das Falsche von unserem Standpunkt oder von seinem?«
»Wenn wir den Schriften folgen, dann sicher von seinem, denn er gab uns Gebote .«
»Gott ist also vorhersehbar, berechenbar ?«
»Wir können ihn nicht völlig erfassen und verstehen. Wir können uns dieser Erkenntnis nur annähern .«
»Ist das so? Also erschuf uns Gott, der ewig Gütige und Vergebende, nach seinem Abbild, ja, sieht für uns sogar eine exaltierte Stellung vor, und doch müssen wir ihn um Vergebung bitten? Und doch urteilt er über uns und unsere Sünden? Und so schickt er all jene, die ihn und vor allem seine Kirche nicht anerkennen, in ewige Verdammnis? Auch die Juden?«
»Die Juden besonders. Sie haben den Heiland auf dem Gewissen .«
Rheinberg schüttelte den Kopf.
»Bischof, Ihr beschreibt keinen gütigen, unergründlichen Gott, sondern einen eifersüchtigen, missgünstigen, verstockten und neidvollen Gott. Darin erscheint er mir nicht so viel anders zu sein als Jupiter, der auf die Erde hinabschritt, um Jungfrauen zu vernaschen, und in wildem Jähzorn Blitze schleudert, wenn er sich ärgert – oder Hera ihn genervt hat .«
Ambrosius starrte Rheinberg wild an. »Die Regeln der Kirche …«
»Die Regeln der Kirche sind mir schon klar«, unterbrach ihn Rheinberg. »Aber sind die Regeln der Kirche auch die Gottes, oder nicht nur solche, die von Menschen gemacht wurden, eben weil die wahre Herrlichkeit Gottes für sie so unergründlich ist, wie Ihr soeben selbst festgestellt habt?«
Ambrosius fühlte, wie die kalte Wut in ihm aufstieg.
»Wer seid Ihr, dass Ihr Gottes Absichten und Willen interpretieren wollt ?«
»Das mache ich gar nicht. Ihr aber beständig. Das Einzige, was ich tatsächlich interpretieren kann, ist Folgendes: Wir sind alle Sterbliche, die an diesem Ort und zu dieser Zeit existieren. Wir haben einen Weg des Lebens gefunden, der seine Stärken und Schwächen hat, und sicher haben wir den Auftrag, die Stärken zu verfestigen und die Schwächen zu bekämpfen. Doch gibt es in der Definition dieser Eigenschaften sehr individuelle Interpretationen, wie es auch unterschiedliche Ansichten zur Natur der Dinge, ja der Natur Gottes gibt. Wenn Gott sich aber in seiner ganzen Schöpfung zeigt, in all ihrer Vielfalt, in allen Menschen, die er nach seinem Abbild schuf, und wenn er uns den freien Willen gab – wer bin ich, dass ich Gott beleidige, indem ich von diesem freien Willen keinen Gebrauch mache und andere möglicherweise unbillig dabei behindere?«
Rheinberg erhob sich und machte einen Schritt auf Ambrosius zu. Der Bischof erkannte keinen Zorn, keine heilige Wut in den Zügen des Zeitenwanderers, nur eine tief sitzende Müdigkeit, eine Verzweiflung, deren Ursprung er nicht ermessen konnte.
»Und so muss auch dieses Reich handeln, wenn es überleben will: Es muss den Rahmen bilden für den freien Willen. Dieser Rahmen wird diesen Willen schon genügend einschränken und Ihr selbst habt soeben darüber Klage geführt. Wir Menschen wissen es zurzeit offenbar nicht besser. Also müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben. Und solange Gott sein Versprechen nicht zurücknimmt, dass wir einen freien Willen haben, wird er damit sicher eine Absicht verfolgen. Wer weiß? Vielleicht ist es gerade das wirre Durcheinander, das wir unser Leben nennen, das ihn erfreut. Vielleicht hat er deswegen dabei zugesehen, wie wir durch die Zeiten gewandert sind, um hier und
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