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Kaiserkrieger: Der Aufbruch

Kaiserkrieger: Der Aufbruch

Titel: Kaiserkrieger: Der Aufbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Den Boom
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hatte gut verstanden, was Tennberg gesagt hatte. Verhören und umbringen. Wieder traten Tränen in die Augen Marcellus’ und er unterdrückte ein Schluchzen. Mit einem Male fühlte er sich sehr allein und alles andere als abenteuerlustig. Er hoffte, ja er betete inständig, dass Tennbergs Einschätzung des geflohenen Jos nicht korrekt war, sondern dass dieser schnell seinen Weg zur Valentinian und dort auch Gehör finden würde. Dort machte man sich bestimmt bereits Sorgen.
    Schwach regte sich Widerstand in ihm und er wand sich im eisernen Griff des Mannes, doch dieser musste nur einmal so fest zudrücken, dass Marcellus die Luft wegblieb und er seine Versuche einstellte. Widerstandslos ließ er sich forttragen, das Gesicht dem Rücken des Mannes zugewandt. Tennberg schien ihnen voranzugehen.
    Niemand würde sie eines Blickes würdigen. Darin hatte der Deserteur sicher recht . Alexandria war voll obdachloser Kinder, wie jede andere größere Metropole des Reiches auch. Sie unterstanden niemandes Schutz und Gerechtigkeit.
    Marcellus fühlte, wie Mutlosigkeit von ihm Besitz ergriff.
    Und diesmal unterdrückte er das Schluchzen nicht.

Kapitel 17
     

    Godegisel hatte nicht mit dieser Entwicklung gerechnet.
    Ja, er hatte den gefangenen Exkaiser Ostroms getreulich zu denen gebracht, die mit Kaiser Gratian über Kreuz waren. Um, wie es der Richter ausgedrückt hatte, »im Spiel zu bleiben«. Der junge gotische Adlige wusste, was damit gemeint war, und obgleich die Goten jetzt de jure römische Bürger waren und auf römischem Gebiet siedelten, nachdem sie so vernichtend vor Thessaloniki geschlagen worden waren, wollte die Führung, wenn auch nicht mehr formal in Amt und Würden, nicht davon lassen, die Geschicke des Reiches, das sie aufgenommen hatte, mitzubestimmen.
    Militärisch ging das nicht mehr. Die Römer hatten den Goten die Waffen genommen und sie weit über die östliche Reichshälfte verteilt. Ihnen wurde die Anlage eigener, geschlossener Siedlungen verboten, was angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung des Reiches ohnehin nur spärlich war, kein Problem darstellte: Es gab genug halb verwaiste Dörfer und Ortschaften, die von den Neusiedlern »aufgefüllt« werden konnten. Die Reformen, die das Reich nach Ankunft der Zeitenwanderer überschwemmten, kamen den Goten zugute. Sie profitierten von den neuen Freiheiten und Erleichterungen, wie es alle taten, die heimatlos waren und sich anstrengen mussten, in ihrer neuen Heimstatt akzeptiert zu werden – und zu prosperieren.
    Und jetzt saß er hier und war zu so etwas wie einem Leibwächter gemacht worden. Die Verschwörer unter dem Kommando des Maximus hatten Godegisel nicht sehr ehrenvoll behandelt, zweifelsohne war der Adlige für sie kein Gleichrangiger. Es war dieser seltsame Kontrast, über den er in seinen freien Stunden der Muße – und derer gab es sehr viele – nachdachte: Auf der einen Seite wollten die Verschwörer Gratian und durch ihn den Einfluss der Zeitenwanderer bekämpfen, die sie mal als »unheilig« oder »dämonisch«, manchmal schlicht als »Verräter« bezeichneten. Auf der anderen Seite konnten sie einen gewissen Respekt davor, dass ihre Feinde die Goten im Osten geschlagen und ihre Bedrohung fürs Erste beendet hatten, nicht verleugnen. Und wenn Valens, in jenen Phasen, in denen er bei relativer geistiger Klarheit war, sich von Godegisel den Kampf um Thessaloniki schildern ließ, dann war auch der oströmische Kaiser offenbar nicht abgeneigt, den Segen in der Intervention der Fremden zu erkennen – wenngleich er von der Tatsache, dass Gratian nun Kaiser ganz Roms war, wenig erbaut erschien.
    Valens war ein Kapitel für sich.
    Die Verletzung, die er während der Schlacht bei Adrianopel erlitten hatte, war völlig verheilt und von außen machte der Kaiser – oder Exkaiser – einen erholten Eindruck. Doch irgendetwas hatte Spuren bei ihm hinterlassen. Obgleich er Phasen durchlebte, in denen er klar und vernünftig erschien, gab es wieder Stunden, ja manchmal Tage, in denen er völlig in sich versunken vor sich hin dämmerte, sinnlose Sätze murmelte und weder Godegisel noch irgendjemand anderen, der ihn ansprach, bewusst wahrzunehmen schien.
    Valens war bereits zu seinen besten Zeiten das gewesen, was man einen wankelmütigen, ja instabilen Menschen genannt hätte. Er war immer sehr auf seinen Ruf bedacht gewesen und hatte seinen Neffen Gratian eher als Bedrohung, denn als Kollegen im Amt wahrgenommen. Je älter er wurde, desto

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