Kaiserkrieger: Der Aufbruch
klarer waren die irrationalen Züge in seiner Persönlichkeit zutage getreten. Er hatte sich mehr und mehr auf die Aussagen von Orakeldeutern und Auguren verschiedenster Herkunft verlassen, sie in mehr und mehr Entscheidungen einbezogen und ihnen am östlichen Hof unbillig großen Einfluss eingeräumt – was nicht von allen Adligen oder hohen Militärs mit Freude gesehen worden war. Valens hatte diesen Unwillen sicher gespürt, selbst dann, wenn niemand ihn offen auszusprechen gewagt hatte. Er war verschlossener geworden, herrischer, unduldsamer, mit jedem Jahr, das verstrich. Seine Entscheidung vor Adrianopel, eben nicht auf die Hilfe Gratians zu warten, sondern selbst die Schlacht zu wagen, war nur der krönende Abschluss an falschen und voreiligen Einschätzungen gewesen. Den Ruhm mit seinem Neffen nicht teilen zu müssen, das wurde allgemein als Grund für diese Entscheidung angenommen. Aber vielleicht hatte auch nur einer seiner Orakeldeuter gemeint, die Zeichen für die Schlacht stünden gut.
Wenn man also etwas Gutes am neuen Valens erkennen wollte, dann das, dass er sich seines größten Fehlers schmerzhaft bewusst war und dass er in jenen Phasen, wo er klar zu denken und zu sprechen schien, deutlich zu argumentieren und analysieren wusste. Godegisel hatte ihm erzählt, dass er es gewesen war, der den flüchtenden Kaiser gefangen genommen hatte, in den Ruinen eines kleinen Guts unweit des Schlachtfeldes. Obgleich Valens damals durchaus bei Bewusstsein gewesen war, konnte sich der ältere Mann heute nicht mehr daran erinnern. Er schien es dem gotischen Adligen nicht übel zu nehmen, zumindest zeigte er es nicht, und er akzeptierte ihn willig als Gesprächspartner, so er überhaupt ein Interesse an Konversation zeigte.
Die Besuche der Verschwörer waren da von anderer Qualität. Godegisel hatte rasch herausgefunden, was die Männer von Valens wollten: Sie wollten seinen Nimbus als Kaiser des Ostens nutzen, um dem Usurpator Maximus Legitimation zu verschaffen. Sollte der Sturz Gratians gelingen, würde Valens wie von Gottes Hand geführt aus dem Nichts auftauchen, formal den Purpur des Ostens tragen, Maximus’ gewaltsamen Umsturz segnen und befürworten, ihn zum Mitregenten erheben, der er dann de facto schon sein würde, um selbst wenige Wochen später abzudanken, sodass Kaiser Maximus ganz Rom regierte. Valens, so war ihm zugesichert worden, dürfe sich in den Ruhestand zurückziehen, natürlich mit entsprechendem Gefolge, einer staatlichen Pension, vielleicht auf Capri, oder in Diokletians altem Palast, oder wo auch immer er aus dem Weg war.
Godegisel hatte den Eindruck, dass Valens diesem Plan manchmal gewogen war und dann wieder auch nicht, und so hatten die Verschwörer auch noch keine definitive Antwort aus ihm herausbekommen. Es war, als würden zwei Seelen in der Brust des Exkaisers widerstreiten: die eine des neuen Valens, geläutert oder gedemütigt durch Sturz, Verletzung und Gefangenschaft, bereit zum Kompromiss und für einen würdigen Lebensabend, und die des alten Valens, stolz, aufbrausend, neidisch und ehrgeizig, der sich ganz als Imperator des Ostens definierte und bei aller Ablehnung seines Neffen Usurpation eines britannischen Heeresführers schon aus prinzipiellen Gründen ablehnte. Dazu kam, dass die Verschwörer ihre religiösen Grundüberzeugungen, vor allem einen radikalen Trinitarismus und die von Ambrosius geförderte Idee einer entsprechenden Staatskirche, nur schlecht verborgen hatten. Valens war Christ, aber er hatte in einem Teil des Reiches regiert, in dem arianische Bischöfe die Oberhand zu haben pflegten, und er schien die fundamentalistische Radikalität des Maximus aus Gründen, die Godegisel selbst nicht nachvollziehen konnte, abzulehnen.
Wie dem auch sei, der junge Adlige war sich nicht sicher, welche Rolle er in dieser Scharade eigentlich zu spielen hatte. Offiziell wurde er von Maximus als Verbindungsglied zu den »gotischen Interessen« gesehen, was genau das auch immer bedeuten sollte. Godegisel war sich nicht einmal sicher, was für Interessen das waren. Der Richter hatte ihm diesbezüglich keine Anweisungen gegeben und aus Angst vor Entdeckung hatte Godegisel auch noch keine Nachrichten geschickt, um nach Anweisungen zu fragen. Darüber hinaus, Loyalität hin oder her, war Fritigern überhaupt kein Richter mehr, sondern nur ein etwas privilegierter Landbesitzer im Osten Roms, durchaus respektiert, aber ohne formale Macht. Der Vertrag mit Rom sah sehr
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