Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Sklaverei, erreicht war. Er verstand durchaus, dass es bis dahin noch eine Weile dauern konnte, da es allerlei Widerstände zu überwinden galt. Und er wusste auch, dass es unausweichlich war, dieses große Hindernis für den Fortschritt des Reiches zu beseitigen. Spätestens dann würde auch Aurelia die Freiheit bekommen, per Gesetz, ohne weitere Prozedur. Ja, so dachte sich der Deutsche, das war eine schöne, kleine Ausrede, die ihm half, die eigentlich längst fällige Entscheidung jetzt noch nicht zu treffen.
Für einen Moment starrte Jan Rheinberg in seinen Kelch. Was war aus ihm geworden? Heermeister war sein Titel. Doch jetzt war er Politiker, kein Soldat mehr, egal, wie man ihn nannte. Hatte die Pestilenz dieses Daseins, das Ränkespiel bei Hofe, bereits von ihm Besitz ergriffen? War er nun voller Korruption, sein Charakter bereits infiziert von all jenen, die bereit waren, ihre Prinzipien dem leichten Vorteil zu opfern?
Rheinberg spürte, wie er bleich wurde.
»Herr, geht es Euch nicht gut ?«
So viel zu Aurelias Aufmerksamkeit. Sie war tadellos.
»Nein, nicht sehr gut«, erwiderte Rheinberg spontan. Auch Felix sah seinen Herrn besorgt an.
»Soll ich einen Medicus kommen lassen ?« , fragte Felix.
»Nein.«
»Benötigt Ihr etwas anderes ?«
»Ja.«
»Was kann ich Euch bringen lassen ?«
»Nichts, was mir hilft. Felix, danke. Ziehe dich zurück, dein Tagwerk ist vollbracht .«
Das Faktotum wechselte einen kurzen, hilflosen Blick mit Aurelia, dann deutete der alte Mann eine Verbeugung an und zog sich zurück.
»Kann ich etwas für Euch tun, Herr ?« , fragte die Sklavin.
»Ja. Erkläre mir etwas .«
»Was ist die Frage ?«
»Wer bin ich ?«
Aurelia zögerte unmerklich.
»Jan Rheinberg, Magister Militium des Römischen Reiches, zweithöchster Würdenträger des Imperiums, ein mächtiger Mann.«
»Woraus besteht meine Macht ?«
»Aus Eurem Amt. Aus Eurer Geschichte. Aus den Mitteln, die Euch als Zeitenwanderer zu Gebote stehen.«
Rheinberg nickte, halb zu sich selbst, halb zur Bestätigung dessen, was die Sklavin gerade gesagt hatte.
»Aber das ist nur mein Titel und das, was ich kann. Wer bin ich ?«
Aurelia stockte. »Die Philosophen haben verschiedene Antworten auf diese Frage. Es gibt keine, die wahrhaft alles erklärt oder für jeden gleichermaßen Gültigkeit beansprucht. Ich kann es nicht beantworten .«
»Aber ich.«
Rheinberg sah Aurelia direkt in die Augen. Sie waren dunkel, fast schwarz, wie ein tiefer See, in den man eintauchen konnte. Für einen Moment sagte er nichts, doch dann besann er sich, zwängte die Worte hervor, als müsse er mit ihnen kämpfen, damit sie seinen Mund verlassen.
»Ich bin ein egoistischer Narr, Aurelia .«
Die Sklavin wirkte weder verwirrt noch empört. Sie sah ihn ruhig an. Das machte Rheinberg fast ängstlich. Im Stillen hatte er erwartet, dass sie es abstritt, protestierte. Aber nichts dergleichen. Und da sie rein gar nichts sagte, war er gezwungen, jetzt, wo er in Fahrt war, die Sache auch zu einem Ende zu bringen. Er holte tief Luft, stieß sie dann unverrichteter Dinge wieder aus und fühlte, wie ihn eine große Ratlosigkeit überkam.
»Ich hätte dich in dem Moment freilassen sollen, als Renna dich mir zum Geschenk gemacht hat«, erklärte Rheinberg schließlich leise. »Ich habe es nicht getan. Es war eine Schwäche auf meiner Seite, die letztlich unentschuldbar ist. Ich möchte daher auch gar nicht um Entschuldigung bitten, denn das, was ich getan habe – oder vielmehr, was ich unterließ –, ist nicht zu entschuldigen .«
Aurelia kräuselte die Stirn.
»Ich bin eine Sklavin, Herr«, sagte sie. »Ich war es schon immer. Ich bin auch immer gut behandelt worden. Kein Herr hat sich meiner mit Gewalt bemächtigt. Ich erhielt eine gute Ausbildung. Ich lebe in Komfort, ja Luxus. Ich habe Aufgaben, die meinen Fähigkeiten entsprechen, und Ihr, Herr, seid ein sanfter und freundlicher Gebieter. Wofür genau solltet Ihr Euch daher entschuldigen ?«
Rheinberg schüttelte den Kopf. Oh, welch goldene Brücke! Er konnte leicht Fuß auf Fuß darauf setzen und würde erst nach einiger Zeit, vielleicht auf halber Strecke, bemerken, wie tief er statt dessen in süßem Morast versunken sein würde. Eine gefährliche Illusion, der er sich nur zu leicht würde hingeben können.
Aber darüber war er jetzt hinaus.
»Es ist nicht die Natur des Menschen, jemandem zu gehören .«
»Was ist die Natur des Menschen ?«
»Eigenständige Entscheidungen für
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