Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Lärm gehabt und ohnehin nie eine besondere musikalische Ader entwickelt. Die Tischmusik war so schnell wieder abgeschafft worden, wie sie aufgetaucht war. Es war jetzt angenehm still.
Dann tauchte wie aus dem Nichts die anmutige Gestalt Aurelias auf. Sie verbeugte sich leicht – alle Sklaven des Hauses hatten schnell bemerkt, dass Zeichen übermäßiger Unterwürfigkeit bei ihrem neuen Herren nicht erwünscht waren – und begann, wie jeden Abend, das Fleisch auf dem Tablett zu zerteilen, um es auf Rheinbergs Teller zu legen.
Und wie jeden Abend sagte Rheinberg: »Lass das bitte sein. Setz dich hin und iss selbst. Leiste mir Gesellschaft .«
»Wie mein Herr befiehlt .«
»Und höre auf, mich Herr zu nennen .«
Aurelia lächelte. Sie entwickelte reizende Grübchen, wenn sie das tat. Rheinberg wusste dann nichts mehr zu ergänzen und als sie sich nun zu ihm setzte und darauf wartete, dass er zu essen begann, seufzte er nur noch.
»Ihr habt Kummer, Herr ?«
»Ich bin müde .«
»Darf ich Euch massieren? Euer Nacken ist immer sehr verspannt .«
Unnötig zu erwähnen, dass kundige, die verknoteten Muskeln zielsicher aufspürende Hände ebenfalls zu den Qualitäten Aurelias gehörten. Rheinberg hatte es ihr einmal erlaubt, ihn zu massieren, und danach nie wieder. Die Gefühle, die dabei ausgelöst wurden, und sein innerer Widerstreit zwischen seinem Begehren und der Erkenntnis, dass er sie dabei jederzeit wie einen Gegenstand benutzen durfte, hatten dazu geführt, dass er sich selbst vollständige Zurückhaltung auferlegt hatte. Er würde sich nie mehr im Spiegel ansehen können, wenn er dieser nur zu leichten Versuchung erlag. Er war dann nicht besser als … als alle, die eben nicht besser waren. Jene, die an Sklaverei nichts fanden. Die diese Menschen nicht als das wahrnahmen, was sie waren. Für die sie nur Möbelstücke waren, Einrichtungsgegenstände.
»Danke, nein«, sagte er also, wie jeden Abend, höflich und bestimmt und erneut senkte Aurelia nur demütig den Kopf. Es war, so dachte er sich, das völlige Fehlen von Widerworten, das ihm zu schaffen machte. Niemand in diesem Haus argumentierte mit ihm. Alle waren nur zu bestrebt, ihm zu dienen. Und die Tatsache, dass er nicht wusste, ob er auch nur einem seiner Bediensteten ernsthaft sympathisch war oder ob alle ihn nur anlächelten und freundlich waren, weil sie eine Bestrafung befürchteten oder weil sie sich in ihr Schicksal als Sklaven gefügt hatten, gehörte sicher zu den Grundübeln seiner Irritation. Das galt ganz besonders für die Sklavin, die da neben ihm saß und die er immer wieder forschend ansah, um zu erkennen, was sie wohl wirklich über ihn dachte – ohne die Vorspiegelung falscher Tatsachen, ohne ihr Verhältnis als Besitzer und Sklavin im Hintergrund.
Rheinberg wusste, dass er das nur dann herausfinden konnte, wenn er sie freiließ, so schnell wie möglich. Und die Angst, dass sie diese Gelegenheit dann nutzen würde, sich sogleich aus Trier zu verabschieden und eigene Wege zu gehen, wie es einer freien Römerin zustand, war genau das, was ihn davon abhielt, diesen Schritt zu gehen. Diese Erkenntnis wiederum, das Eingeständnis seiner eigenen moralischen Schwäche, verdarb ihm, wie jeden Abend, den Appetit.
Er aß seit geraumer Zeit sehr schlecht, wenn er nach Hause kam.
Aurelia schien das nicht zu verstehen. Oder sie tat, als verstehe sie es nicht. Jan Rheinberg konnte nicht glauben, dass sie nicht mitbekam, wie er sich verhielt – oder eben nicht verhielt. Er schob den Teller mit dem kalten Huhn von sich und wischte sich den Mund mit dem Tuch ab. Kaum einen Happen hatte er zu sich genommen.
»Obst, Herr?«
Aurelia reichte ihm eine Schüssel. Das Obst war eine Kostbarkeit im Winter, es wurde direkt aus Nordafrika in die Kaiserresidenz gebracht. Es war ein unglaublicher Luxus und es war eine Sünde, nicht zuzugreifen, und doch lehnte Rheinberg ab.
»Aber nimm nur selbst«, ermunterte er Aurelia, die sich dankbar lächelnd bediente.
»Was gibt es Neues im Haus ?« , fragte Rheinberg, um die einbrechende Stille nicht zu lang werden zu lassen. Felix, der sich wohlweislich im Hintergrund gehalten hatte, trat vor, da er sich angesprochen fühlte.
»Alles ist in bester Ordnung, Herr«, erklärte er würdevoll. Rheinberg betrachtete das schmale Gesicht mit dem gepflegten Backenbart. Felix war ein Staatssklave und würde also erst die Freiheit bekommen, wenn Rheinbergs großes Reformziel, die vollständige Abschaffung der
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