Kaiserkrieger: Der Aufbruch
hatte bereits abschätzig die Lippen gespitzt und der Vorschlag, die Küste entlang nach einem vielversprechenderen Ort zu suchen, hatte ihm auf den Lippen gelegen, da wies Valens ohne jeden Kommentar auf die drei Masten, die sich in den dunkel werdenden Himmel reckten. Fischerboote, und nicht einmal die kleinsten, lagen dort auf den Strand gezogen. Es waren jeweils etwa sechs Meter lange Fahrzeuge, die man sowohl rudern als auch segeln konnte, da jedes über einen einzigen Mast verfügte. Fischernetze lagen säuberlich zusammengefaltet neben den Booten. Normalerweise gehörten zwei, wenn nicht drei Männer zur Besatzung und das mit einem tiefen Rumpf ausgestattete Boot konnte einen nicht unerheblichen Fang aufnehmen, wenn den Fischern das Glück hold war.
Ausgehend vom Zustand der dazugehörigen Siedlung war das nicht allzu häufig der Fall. Das Wetter auf dem Kanal war oft wild und unberechenbar. Fischerei war ein gefährlicher Beruf, und offenbar meist kein sehr einträglicher.
Das war exakt in ihrem Sinne.
Sie traten an die den Schiffen am nächsten gelegene Hütte heran. Aus dem steinernen Schornstein wand sich eine dünne Rauchfahne. Hinter den geschlossenen Fensterläden war trübes Licht erkennbar. Vor der Haustür, die mit einer Art Holzmarkise überdacht war, lagen die Utensilien eines Fischers. Diebe schien man hier nicht zu befürchten. Die Männer musterten die Ausrüstung und bewerteten sie als ärmlich. Sie blickten sich an und grinsten.
Entschlossen klopfte Godegisel an.
Es dauerte einen Moment, dann war eine dumpfe Stimme zu hören. So ganz vertrauensselig war man hier offenbar doch nicht.
»Wer da?«
»Reisende«, gab Valens zur Antwort. »Wir benötigen eine Passage nach Gallien. Wir zahlen gut .«
Ob es die drei letzten Worte waren oder allgemeine Menschenfreundlichkeit, die den Fischer dazu bewogen, die Tür zu öffnen, wusste Godegisel nicht. Ein Riegel wurde bewegt, das bärtige Gesicht eines Mannes, wettergegerbt, vorzeitig gealtert, erschien. Er starrte die beiden Reisenden einige Sekunden forschend an. Valens und Godegisel blieben ruhig stehen, lächelten freundlich, was ihnen angesichts des stechenden Geruchs nach Fisch in verschiedenen Zustandsformen, der aus der Hütte drang, sehr schwerfiel.
Godegisel war es schließlich, der seinen Geldbeutel hervorholte und dem Bärtigen einen goldenen Solidus zeigte. Dem Fischer fielen angesichts dieser Summe fast die Augen aus. Er öffnete die Tür und hieß die Reisenden gestikulierend einzutreten.
Die Hütte bestand aus exakt einem Raum und die gesamte Familie des guten Mannes schien versammelt. Eine ebenfalls verbraucht und alt aussehende Frau starrte ihnen nervös entgegen, in den Händen eine Hose, die sie offenbar gerade flickte. Es gab zwei Lichtquellen: eine Feuerstelle, über der der Schornstein lag, sowie eine Lampe, die offenbar Fischöl verbrannte. In einer Ecke stand ein breites Bett, auf dem zwei Kinder schliefen, beide sicher nicht älter als fünf oder sechs Jahre. Die Eltern konnten daher, so Godegisels Schätzung, noch keine dreßiig Jahre alt sein, sahen aber bedeutend älter aus. Es waren arme Leute, wenngleich sie nicht in absoluter Armut lebten. Sie hatten ein Haus, das Dach war offenbar sogar dicht, und ein Boot, sie hatten gewisse Utensilien, ihre Kleidung war alt, aber sauber und auch sonst wirkte alles in Stand gehalten. Wenn man von bescheidenem Wohlstand sprechen wollte, dann wurde dieser durch knochenharte Arbeit ohne Unterlass erkauft, der dazu führen würde, dass diese Menschen vor ihrer Zeit sterben würden. Godegisel warf einen Blick auf die schlafenden Kinder. Sie würden all das hier erben. Eine Aussicht, die niemanden erfreuen durfte. Die Reformpolitik des Kaisers Gratian hatte ein Gutes: Sie waren nicht mehr gezwungen, den Beruf des Vaters zu übernehmen. Vielleicht würden sie ihr Erbe zu Geld machen und versuchen, etwas anderes anzufangen. Dieser Gedanke hatte für den Goten etwas Tröstliches.
»Setzt Euch, edle Herren«, sagte der Mann und wies auf eine leere Bank in der Nähe der Feuerstelle. Da seine Besucher gute Kleidung trugen und offenbar mit Pferden angereist waren, konnte es sich nur um im Vergleich hochgestellte Persönlichkeiten handeln. Godegisel ging davon aus, dass sie dem Fischer nicht einmal Geld anbieten mussten. Wenn sie ihm die beiden Pferde, müde zwar, aber in gutem Zustand, für die Überfahrt überlassen würden, hätte er bereits ein Vermögen verdient. Er würde mit den
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