Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Männer warfen sich Taschen über den Rücken, schauten aus den Fenstern in die nächtliche Dunkelheit. Lichterschein war zu sehen, wo sich die Wachen aufhielten. Dort rechnete offenbar niemand mit dem Angriff eines Gegners: Normalerweise würden die Öllampen gute Ziele abgeben. Doch die Wachsoldaten waren mehr daran interessiert, es gemütlich zu haben. Sie rechneten ganz sicher nicht damit, dass jene, die sie doch zu »beschützen« hatten, sich davonstehlen würden, und es war genau diese Tatsache, die der größte Trumpf der Flüchtenden in diesem Spiel war.
Sie gingen nicht durch die Vordertür. Das Anwesen, in dem sie untergebracht waren, hatte mehrere Ausgänge. Eine Tür führte in einen Stall, der jetzt leer stand, und der Stall wiederum lag am nahen Waldrand, zur Straße hin, die sie direkt in Richtung Küste führen würde. Sie nahmen diesen Weg.
Als sie den Stall betraten und die kühle, nächtliche Luft erfrischend in ihre Lungen drang, hielten sie inne und lauschten. Irgendwo hustete jemand – es war angesichts des Nebels nicht auszumachen, ob nahe oder fern. Doch von der halb geöffneten Stalltür aus waren kein Licht zu sehen und keine Bewegung zu hören. Etwa zwei Meter vor der Tür, auf dem Backstein des Hofes, lag der weiße Kalkklumpen, den Godegisel dort gestern scheinbar achtlos hingeworfen hatte; der Beginn ihrer Fluchtroute. Alles dahinter verschmolz in Dunkelheit und Nebel zu einer undurchdringlichen Suppe.
Godegisel sah Valens an, der nickte. Sie drückten sich durch die halb offene Tür, ohne sie auch nur einen Millimeter bewegen zu müssen, und schlichen über die Steine. Die gepolsterten Füße machten absolut keinen Laut. Dennoch dröhnte dem Goten sein eigener Atem in den Ohren und er wünschte , er könne mindestens zehn Minuten die Luft anhalten.
Sie erreichten den Kalkstein und Valens folgte dem jungen Mann bis zur nächsten Wegmarke. Immer wieder blickten sie sich um. Doch niemand war zu erkennen. Als sie sich etwa zwanzig Meter vom Hauptgebäude entfernt hatten, sahen sie ein sich bewegendes Licht, ein Wachsoldat auf Rundgang. Der Mann gähnte laut und vernehmlich, Godegisel hörte, wie er sich über den Bart kratzte und irgendwas murmelte. Die beiden Flüchtenden blieben im Schutze des Nebels wie angewurzelt stehen. Der Wachmann schlenderte weit an ihnen vorbei, ohne ihre Existenz auch nur zu erahnen.
Godegisel verkniff sich ein erleichtertes Ausatmen.
Sie warteten noch einige Momente, bis das wandernde Licht vom Nebel verschluckt worden war.
Der Gote zog Valens am Ärmel. Der ehemalige Kaiser ließ sich willig durch die Dunkelheit führen.
Stumm schritten sie voran, immer vorsichtig auf den Weg bedacht. Es dauerte nicht mehr lange, und sie sahen das Band der gepflasterten Militärstraße vor sich erscheinen. An einer der Randmarkierungen erkannte Godegisel eines der weißen Zeichen, die er hinterlassen hatte. Alles war gut gegangen. Wenn ihnen das Glück weiterhin hold blieb, würde ihre Flucht bis in die späten Morgenstunden, wenn eine Sklavin ihnen normalerweise das Frühstück brachte, unentdeckt bleiben.
Sie hielten sich auf der menschenleeren Straße, zogen sich die Stofffetzen von den Stiefeln und stopften sie in ihre Taschen, weiterhin peinlich darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen. Sie schritten kräftig aus, wollten den Vorsprung so gut nutzen, wie es nur möglich war. Godegisel hatte in beiläufigen Gesprächen so einiges über die Gegend in Erfahrung bringen können. Er wusste, dass sich etwa fünf Meilen von hier eine kleine Siedlung befand, aus mehreren Bauernhöfen bestehend, noch nicht ganz Latifundien, aber durchaus respektable Anwesen. Sie würden dort sicher noch vor Anbruch der Morgendämmerung eintreffen, und dann hatten sie die Absicht, sich Pferde zu kaufen und diese so schnell wie möglich in Richtung Küste zu treiben. Natürlich würde das auffallen und ein eventueller Suchtrupp würde sie anhand der Beschreibungen rasch identifizieren, aber dennoch würden sie im besten Falle mehrere Stunden Vorsprung genießen, und da sie ihre Pferde nicht schonen mussten, konnte dies entscheidend für das Gelingen ihrer Flucht sein.
Sie marschierten schweigend, fast verbissen. Godegisel hätte schneller ausschreiten können, doch Valens war nicht mehr der Jüngste und längere Märsche als Kaiser nicht gewohnt gewesen. Er musste hin und wieder Pause machen, einen Schluck Wasser nehmen. Dennoch hielt er sich wacker, stöhnte und jammerte nicht,
Weitere Kostenlose Bücher