Kaisertag (German Edition)
zu hören waren.
Prieß kam dem Haus so nah, dass er nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um die Backsteinmauer zu berühren. Sein Herz hämmerte vor Aufregung so heftig, dass er für einen Augenblick tatsächlich fürchtete, es könnte ihn verraten.
»Meine Herren«, hörte er jemanden im Haus sagen, »wir sind jetzt vollzählig. Ich denke, wir können beginnen. Bitte nehmen Sie Platz.«
Deuxmoulins! , schoss es Prieß durch den Kopf. Es konnte keinen Zweifel geben, diese kultivierte, jedes Wort sorgfältig betonende Art zu sprechen war Prieß von seiner Begegnung mit dem General noch deutlich im Gedächtnis. Die Überraschung ließ den Detektiv die Furcht vergessen. Er wollte nun endlich wissen, was diese Männer zu besprechen hatten, die er von seinem Versteck aus nur hören, nicht aber sehen konnte. Jedes einzelne Wort, das nun fiel, konnte wichtig sein. Er nahm seine ganze Konzentration zusammen, damit ihm ja nichts entging.
Wie das ganze Gutshaus ein Gebäude von eher bescheidenen Ausmaßen war, dessen zum Teich gewandte klassizistische Fassade nur ein etwas komfortableres Bauernhaus maskierte, so war auch der zu ebener Erde gelegene Salon weder besonders groß noch aufwendig ausgestaltet. Karge Stuckverzierungen an der Decke ließen die strenge Eleganz und kühle Vernunft des frühen neunzehnten Jahrhunderts erkennen. An den Wänden hingen Gemälde, die frühere Bewohner des Hauses hier hinterlassen hatten: solide, aber unspektakuläre Bilder fleißiger Provinzkünstler. Ein großer ovaler Tisch aus glänzend schwarzem Holz nahm nahezu die Hälfte des Raumes ein. Um diesen Tisch herum saßen die elf Männer, die sich an diesem Abend hier versammelt hatten. Die meisten von ihnen trugen dunkle oder graue Anzüge, vor sich hatten sie ihre Unterlagen und Notizen bereitgelegt. Dem äußeren Anschein nach hätte man leicht vermuten können, dass hier der Gemeinderat einer Kleinstadt zusammengekommen war, um über die Instandsetzung eines öffentlichen Schwimmbads oder die Festsetzung der Friedhofsgebühren zu beraten.
»Ich heiße Sie willkommen, meine Herren«, begann Otto von Deuxmoulins, der am oberen Ende des Tisches saß. »Große Ereignisse stehen bevor, die Krönung unseres unablässigen Wirkens. Die besondere Bedeutung dieser Besprechung erkennen Sie daran, dass wir heute zum ersten Mal vollständig zusammengekommen sind statt wie sonst zu zweit oder dritt. Für dieses Treffen im großen Kreis haben wir uns entschieden, da wir künftig zweifellos öfter miteinander zu tun haben werden. Es kann nur von Vorteil sein, wenn Sie sich schon vorher kennenlernen. Die meisten von ihnen sind sich noch nie persönlich begegnet, daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, Sie einander vorzustellen. Major Sonnenbühl, dem wir so viel zu verdanken haben, dürfte Ihnen allen zumindest dem Namen nach bereits bekannt sein.«
Der General wies auf Maximilian Sonnenbühl, der zu seiner Rechten saß und die ehrenden Worte sichtlich genoss. Dann fuhr Deuxmoulins fort, die einzelnen Anwesenden vorzustellen: »Herr Dr. Waldmoser vom Außenministerium ist Ihnen gewiss ein Begriff. Herr Poschau vertritt die chemische Industrie, während Herr Dr. Schatz als Repräsentant der Schwer- und Elektroindustrie erschienen ist. Besonders willkommen heißen möchte ich Herrn Generalleutnant Wangenheim aus dem Kriegsministerium, der uns über die Jahrzehnte schon so viele wertvolle Dienste geleistet hat. Friedhelm Ritter von Zerflin ist einer der ältesten und entschlossensten Mitstreiter in unseren Reihen und nimmt hier die Interessen der unserer Sache verpflichteten Angehörigen des Adels wahr. Herr Schwerdt, der sonst immer für das Innenministerium anwesend war, ist leider wegen der Folgen eines Reitunfalls verhindert. Er wird vertreten von Herrn Grieslich, gleichfalls einer unserer verlässlichsten Waffengefährten. Herr von Reventlow spricht für unsere Freunde am kaiserlichen Hof, und die nächsten beiden Herren sind die Sachwalter uns nahestehender Kreise in zwei Ländern, die man mit Fug und Recht als die wichtigsten Verbündeten des Reiches bezeichnen darf und die in unseren Plänen einen wichtigen Platz einnehmen: Ich begrüße Aurelian Freiherr von Kremsier aus Österreich und Seine Exzellenz Yüksel Pascha, Militärattaché der Osmanischen Republik.«
Nachdem er alle Anwesenden vorgestellt hatte, blickte der General in die Runde und sagte: »Bevor wir zur eigentlichen Tagesordnung schreiten, möchte ich Sie gerne um
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