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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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war zu mächtig. Prieß richtete die Lampe auf den Behälter.
    Und er spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror.
    Aus einem bis zur Grenze der Unkenntlichkeit verzerrten pechschwarzen Gesicht glotzten ihn zwei aufgequollene gelbliche Augäpfel mit riesigen finsteren Pupillen an.
    So brutal traf ihn der Schock, dass er nicht einmal aufschreien konnte; das Entsetzen drückte seine Kehle zu und ließ nur ein dürres Krächzen entweichen. Unwillkürlich wich er zurück und stieß dabei fast ein Regal um; die dicht beieinanderstehenden Glaskrüge mit Missgeburten stießen klirrend zusammen.
    Im Alkohol hinter der dicken Scheibe des gläsernen Tanks schwamm ein Mensch. Überall an seinem Körper waren eitergelbe Geschwüre durch die tiefdunkle Haut gebrochen, einige davon waren faustgroß. An vielen Stellen klafften kraterartige Wunden und entblößten rohes Fleisch, weiß und schwammig, nachdem alles Blut aus ihm entwichen war. Das kurze Kraushaar war büschelweise ausgefallen; auf den kahlen Flächen hatte sich die Kopfhaut in ganzen Fladen gelöst und den bleichen Schädelknochen freigelegt.
    Am Glastank war mit Klebestreifen ein sorgfältig angefertigtes Pappschild befestigt: Männlicher Neger, circa 35 Jahre alt. Hielt sich zum Detonationszeitpunkt in Zone IX auf und war radioaktiver Strahlung nach Bombentest ausgesetzt. Entwicklung der Erkrankung siehe Bericht E-14/b. 25/IV/1988 unter Anwendung von Gas eingeschläfert und konserviert. Daneben hing die Agfagraphie einer Landkarte, über die konzentrische Kreise wie die Ringe einer Zielscheibe gelegt waren. Im äußersten dieser Kreise markierte ein mit Kopierstift eingezeichneter roter Punkt den Ort in der Wüste Deutsch-Südwestafrikas, an dem man den Todgeweihten gefunden hatte.
    »Ich will hier raus«, ächzte Prieß.
    Er konnte den Anblick des von Wucherungen zerfressenen Leibes keine Sekunde länger ertragen. Gehetzt lief er weiter durch die Gänge, die Augen nur noch nach vorne gerichtet, während das Blut in heftigen Stößen durch seine Schläfen gepresst wurde. Ihm war, als würden die Regalreihen voller aufgedunsener verkrüppelter Monster kein Ende nehmen.
    Endlich erreichte er den Ausgang, nach dem er gesucht hatte. Hektisch riss er die Tür auf und schlug sie hinter sich zu, kaum dass er den Lagerraum dahinter betreten hatte. Dann leuchtete er sofort nach allen Seiten, um nur rasch den Kanaldeckel zu finden. Im fahlen Licht konnte er aufgestapelte Blechkanister erkennen, leere Glasbehälter, die darauf warteten, dass jemand sie mit Missgeburten füllte, gekachelte Tische und Waschbecken. Dann sah er die Einstiegsluke, eingelassen in den Fußboden aus nacktem Beton. Ungeduldig ging Prieß auf die Knie und hob den eisernen Deckel an. Er konnte gar nicht schnell genug Abstand zwischen sich und diesen Horror bringen.
      
    Alles war vergebens gewesen.
    Prieß hatte erwartet, dass der Ausweg zum städtischen Abwassernetz versperrt sein würde. Dennoch hatte er gegen jede Vernunft die schwache Hoffnung gehabt, vielleicht doch ein Schlupfloch vorzufinden. Nun stand er vor acht armdicken Stangen aus rostfreiem Stahl, fest eingelassen in das Mauerwerk der Kanalröhre.
    Ich sitze in der Falle , dachte Friedrich Prieß und wunderte sich, dass er so ruhig blieb. Diese stählernen Stangen waren sein Todesurteil, und trotzdem stiegen weder Panik noch Furcht in ihm auf. Er fühlte nichts weiter als graue, klamme Resignation.
    Was sollte er jetzt tun? Doch versuchen, die eingestürzte Öffnung des Wasserrohrs wieder freizulegen? Aber das war unmöglich. Er hatte den Trümmerhaufen bereits genau in Augenschein genommen; es hätte Tage gedauert, mit den Händen den Schutt fortzuschaufeln. Ohne etwas zu essen und trinken, wäre er vorher zusammengebrochen.
    Es gab also keinen Ausweg. Prieß ging zurück und ließ sich am Fuß einer Ausstiegsleiter nieder, wo der Betonsteg ein wenig Platz zum Sitzen bot. Ihm blieb jetzt nur noch die Wahl, umgeben von Fäkalgestank langsam zu verhungern oder sich am nächsten Morgen festnehmen zu lassen. Das hieß, in die Fänge von Sonnenbühl und seinen Spießgesellen zu geraten, die ihn ja bereits tot glaubten und diesmal sicher kurzen Prozess machen würden. Wie auch immer Friedrich sich entschied, das Endergebnis blieb dasselbe.
    Hätte ich doch nur auf Alexa gehört , dachte er und vergrub den Kopf in den Händen. Sie hat mich gewarnt! Gott, was werden die mit mir anstellen, wenn sie mich erst haben? Für die bin ich ein Feind, ein

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