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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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abgesperrte Abschnitt war sehr kurz, nur zwei oder drei Meter weiter konnte er das zweite Tor sehen; dazwischen ragte ein kaum besenstieldickes Rohr schräg von oben aus dem Deckengewölbe des Tunnels. Er besah sich das Schloss und stellte fest, dass es ausgesprochen primitiv war: Zum Öffnen war nichts weiter nötig als ein simpler Vierkantschlüssel von neun mal neun Millimetern, genau wie bei den Streckentelefonen der Eisenbahn. Nur wenn man keinen Vierkant zur Hand hatte, war selbst ein so phantasielos gesichertes Tor ein kapitales Hindernis. Für ihn, das wusste Prieß, war hier kein Durchkommen. Er nahm sich die Karte vor und begann nach einer Möglichkeit zu suchen, diesen unpassierbaren Abschnitt zu umgehen. Und er fand auch eine, doch sie war riskant. Er hätte durch einen Ausstieg, an dem er kurz zuvor vorbeigekommen war, die Kanalisation verlassen und durch den Keller eines Gebäudes bis zum nächsten Eingangsschacht schleichen müssen. Und dabei konnte er sich nur nach seinem Plan richten, der die Grundrisse der Bauten lediglich andeutete. Einzelheiten waren nicht verzeichnet. Er konnte der Karte nur entnehmen, dass er den ganzen Keller durchqueren musste, doch was genau ihn dort erwartete, konnte er nicht einmal raten. Das grenzte an Wahnsinn, doch daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt.
      
    Ein leises metallisches Knirschen zeigte Prieß, dass der schwere Eisendeckel auf den Halterungen lag; die Öffnung im Boden war wieder verschlossen. Erleichtert richtete der Detektiv sich auf und horchte in die ihn umgebende Dunkelheit. Alles war still. Niemand hatte bemerkt, dass er in den Keller eines der Laborgebäude eingedrungen war. Nun musste er die andere Einstiegsluke finden.
    Er knipste die Taschenlampe an und versuchte, sich zurechtzufinden. Wohin der schwache Lichtstrahl auch fiel, um sich herum sah er nichts als Stapel leerer Holzkisten. Aus einigen quollen Reste von Holzwolle hervor, manche trugen mit Schablonen aufgebrachte Beschriftungen wie Geheimes Material, Öffnen nur durch Befugte oder schlicht Windhuk . Nach kurzem Suchen entdeckte Prieß eine Tür, die aus dem Abstellraum hinausführte. Zu seinem Erstaunen war sie sogar unverschlossen; dahinter befand sich ein kleiner Korridor, in dem links eine Treppe aufwärtsführte und rechts ein Totenkopf von einer durch ein halbes Dutzend Schlösser gesicherten Metalltür grinste. Darunter standen in kantiger Fraktur die Worte Chemikalien – Lebensgefahr! Eine weitere Tür mit der Aufschrift Exponate – Dokumentation – Analyse befand sich am gegenüberliegenden Ende des Ganges. Vorsichtig drückte Prieß den Türgriff herunter, bis sie sich lautlos öffnete und er den dahinterliegenden Raum betreten konnte.
    Das Erste, was er dort wahrnahm, war der stechende Geruch von medizinischem Alkohol, mit dem die Luft geschwängert war. Im Schein der Lampe tauchten bis zur Decke reichende Regale voller Glasbehälter auf; beim Näherkommen stellte Prieß fest, dass diese Behälter mit klarer Flüssigkeit gefüllt waren und dass in ihnen konservierte Tiere schwammen, darunter auch bizarre Missbildungen wie ein Kaninchen mit vier Ohren oder eine weiße Labormaus ohne Vorderbeine.
    Während er sich seinen Weg zwischen den Regalreihen suchte, fiel sein Blick immer wieder auf die Tierkadaver. Er fühlte sich an ein geschmackloses Kuriositätenkabinett erinnert. Die gruseligen Präparate wirkten im vorübergleitenden Licht, als würden sie sich bewegen, ihre abnorm geformten Gliedmaßen schienen sich zu regen. Es war abstoßend und unwiderstehlich zugleich. Gefangen von der Faszination des Ekels, die von all den toten Ratten und Meerschweinchen mit überzähligen oder grässlich deformierten Körperteilen ausging, ließ Prieß seine Augen im Gehen über die gewissenhaft mit sauber ausgefüllten Etiketten versehenen Gläser schweifen und vergaß dabei vorübergehend sogar seine gefährliche Situation.
    Immer tiefer drang er in den Irrgarten der ineinander verschachtelten Regale vor und versuchte dabei, in den engen, von Hunderten grotesker Kreaturen flankierten Gängen die Orientierung nicht völlig zu verlieren. Plötzlich wurde er eines frei stehenden Glastanks von der Größe einer Telefonzelle gewahr.
    Undeutlich konnte er die Konturen einer länglichen dunklen Masse ausmachen, die schwerelos aufrecht in der Flüssigkeit trieb. Er war sich darüber im Klaren, dass er sich in diesem Keller nicht länger als unbedingt nötig aufhalten durfte, aber die Neugier

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