Kaisertag (German Edition)
können wir die Fenster nicht doch schließen? Es ist nur … es kommen Mücken von draußen herein, und ich …«
Der General blickte ihn ungnädig an und meinte dann: »Nun gut, schließen wir sie also in Gottes Namen, falls niemand Einwände hat. Major Sonnenbühl, wenn Sie das bitte übernehmen würden?«
Maximilian Sonnenbühl stand vom Tisch auf und ging hinüber zu den großen Fenstern.
Ruckartig zog Prieß den Kopf zurück und drückte seinen Körper so flach wie möglich auf den Boden. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass die Büsche ihn Sonnenbühls Blicken entzogen. Wenn nicht, war er verloren.
Aber er hatte Glück. Prieß hörte, wie ein Fenster nach dem anderen geschlossen wurde und die Riegel einrasteten. Als auch das dritte Paar Fensterflügel dumpf zuschlug, ohne dass etwas geschah, atmete er erleichtert auf.
Vorsichtig blickte er auf und lauschte. Aus dem Inneren des Hauses drangen nur noch bis zur Unverständlichkeit abgedämpfte Laute zu ihm; Worte oder gar Sätze konnte er nicht mehr heraushören, sosehr er sich auch anstrengte. Also gab es hier nichts mehr, was er hätte tun können. Trotzdem noch länger beim Gutshaus zu bleiben, wäre nicht nur zwecklos gewesen, sondern auch leichtsinnig. Er wartete noch einen Augenblick, um sicher zu sein, dass Sonnenbühl wirklich nicht mehr in der Nähe der Fenster stand; dann machte er sich auf den Rückweg. Nachdem er nun wusste, dass sich die Wachen vom Haus fernhalten mussten, brachte er das kurze Stück bis zum Ufer des Teiches viel zügiger und weniger verkrampft hinter sich. Halbwegs sicher fühlte er sich aber erst, nachdem er wieder in die schützende Dunkelheit des Wasserrohrs geschlüpft war. Jetzt erst hatte er Gelegenheit, über das nachzudenken, was er im Verlauf der vergangenen halben Stunde erfahren hatte.
Auf das meiste konnte er sich keinen Reim machen. Aber ein Wort drängte sich ihm auf: Verschwörung. Er hatte Verschwörer belauscht. Das also waren die mysteriösen Puppenspieler, von denen Hauptmann Weinberg gesprochen hatte. Diebnitz war einer von ihnen gewesen, und als er sich von ihnen abwenden wollte, musste er sterben. Manches wurde Prieß nun klarer. Zwar wusste er immer noch nicht, was sich hinter dem geheimnisvollen Unternehmen Hamlet verbergen mochte, das diese Männer vorbereiteten, doch immerhin hatten die Schurken jetzt Namen. Sie waren real geworden, greifbar, keine nebelhaften Gestalten mehr, die man zu fassen versucht und dabei doch nur ins Leere greift. Friedrich kam der bizarre Vergleich mit Rumpelstilzchen in den Sinn. Was einen Namen hat, ist gleich weniger furchterregend.
Jetzt begann auch sein Hass auf Sonnenbühl erneut zu sieden. Bisher hatte er ihn nur für einen schäbigen Denunzianten gehalten. Nun jedoch hatte er aus seinem eigenen Mund gehört, dass sein früherer Freund auch noch ein eiskalter Mörder war, dem es überhaupt nichts ausmachte, bis zu den Knöcheln im Blut zu waten. Prieß musste sich zusammenreißen, damit sein Abscheu gegen den Major nicht sein ganzes Denken blockierte. Schließlich war da noch so viel anderes, das er erst noch verdauen musste. Zum Beispiel, dass Diebnitz nicht übertrieben hatte, als er zu Karl Lämmle sagte, die Feinde des Reiches seien überall: Sie waren es tatsächlich. Sie bekleideten wichtige Positionen, auf denen sie vieles steuern konnten und ihnen nichts von Bedeutung entging.
Bloß wer würde Prieß eine solche Geschichte abkaufen, die der überzogenen Phantasie eines schlechten Schriftstellers entsprungen zu sein schien? Wem würde er das alles überhaupt anvertrauen können, ohne fürchten zu müssen, entweder in ein Irrenhaus eingeliefert zu werden oder den nächsten Tag nicht mehr zu erleben?
Darüber kann ich mir später den Kopf zerbrechen , ermahnte er sich. Wenn ich hier nicht rauskomme, werde ich sowieso keine Gelegenheit haben, das Ganze irgendwem zu erzählen. Ich muss zusehen, dass ich einen Ausweg finde!
Er kroch zurück zu der Kammer, wo er sich den Rückweg versperrt hatte. Noch einmal untersuchte er im Schein der Taschenlampe den Trümmerhaufen und musste endgültig einsehen, dass hier kein Durchkommen mehr war. Somit blieb ihm nur noch die bestenfalls vage Hoffnung, durch das verbleibende andere Rohr in die Kanalisation und von dort aus ins städtische Abwassernetz zu gelangen. Mit einem letzten Blick auf die Karte vergewisserte er sich, dass er sich nicht versehen hatte; dann verschwand er im Regenwasserabfluss.
Erst verlief die
Weitere Kostenlose Bücher