Kaisertag (German Edition)
Gaspedal und fuhr weiter. Eingenebelt von einer sich langsam verflüchtigenden Dieselwolke blieb Prieß zurück.
Ein wenig benommen, weil die Anspannung der vergangenen Nacht und der gerade überstandenen Flucht mit einem Mal von ihm abgefallen war und ein merkwürdiges Vakuum zurückgelassen hatte, stand er mitten auf der Ratzeburger Allee und blickte dem Wäschereilaster nach. Aber nicht lange, denn sofort schreckte ihn das schrille Klingeln einer von hinten heranrumpelnden Straßenbahn auf. Prieß brachte sich mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit und merkte nun auch, dass die wenigen Menschen, die zu dieser Morgenstunde unterwegs waren, ihn verwundert bis misstrauisch von den Bürgersteigen aus beobachteten. Das wunderte ihn nicht; er war sich bewusst, was für ein seltsames Bild er abgab: ein unrasierter Mann mit achtlos übergestreifter, zerknautschter feldgrauer Uniform und dreckverkrusteten Sportschuhen, der von einem Laster abgesprungen war. Er wollte schleunigst weiterkommen, ehe ihn noch einer der Passanten für einen Fahnenflüchtigen hielt und die Feldgendarmerie alarmierte. Er lief los, um schnell zu Alexandras Villa zu gelangen. Falls sie schon im Büro war, würde er sie gleich anrufen. Sie musste unbedingt erfahren, was er in dieser Nacht erlebt hatte.
Die zwei Männer im sandfarbenen Borgward, die aus sicherer Entfernung die Villa der Polizeipräsidentin beobachteten, konnten es kaum fassen. Aber ein Irrtum war ausgeschlossen: Die merkwürdige Gestalt in der unordentlichen grauen Uniform, die auf das Haus zurannte, war tatsächlich Friedrich Prieß.
»Unglaublich«, staunte der ältere der beiden, »ich hätte nicht gedacht, dass er je wieder rauskommt. Wie hat er das bloß fertiggebracht?«
Der andere schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber so, wie er aussieht, steckt dahinter sicher eine tolle Geschichte. Wir werden’s ja bald erfahren.«
Prieß hielt vor der Haustür kurz inne, um den Schlüssel aus dem kleinen Rucksack hervorzuholen, den er unter dem Waffenrock vor der Brust trug.
Dann öffnete er die Tür und verschwand in der Villa.
»Also schön. Wie immer er das auch angestellt hat, er ist nun hier. Wir sollten jetzt da reingehen und ihn mitnehmen, bevor er irgendwen verständigen kann. Oder was denken Sie?«, fragte der Jüngere.
»Der Ansicht bin ich auch«, erwiderte sein Beifahrer und setzte sich den täuschend echt aussehenden Polizeitschako mit dem silbernen Lübecker Adler auf.
Der dicke Mann im weißen Sommeranzug stieß ins Horn und rollte unter heiserem Tuten mit seinem viel zu kleinen Automobil ein Stückchen vorwärts, ehe ihn eine Hand aufhielt.
»Dieser Artikel wird äußerst gern gewählt«, versicherte der Verkäufer und hob das aufziehbare Spielzeugauto hoch, um es Alexandra Dühring genauer zu zeigen. » Tut-Tut , ein Qualitätsprodukt des Ernst Paul Lehmann Patentwerks. Entzückt besonders kleinere Kinder stets aufs Neue. Haben Frau Polizeipräsidentin an etwas in dieser Art gedacht?«
»Wirklich sehr hübsch«, log Alexandra. »Aber bevor ich mich entscheide, möchte ich mich gerne noch ein wenig umsehen.«
»Selbstverständlich, Frau Polizeipräsidentin. Bitte zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden, falls Sie eine Frage haben«, erwiderte der Verkäufer hinter dem gläsernen Vorführtisch und deutete eine Verbeugung an.
Alexandra verbarg hinter einem dankenden Lächeln, wie sehr sie dieser Mann nervte, und wandte sich den Regalen mit Spielzeug in allen Variationen zu. Die Spielwarenabteilung des Kaufhauses Karstadt war bemerkenswert gut ausgestattet und hielt jedem Vergleich stand mit den Sortimenten größerer Niederlassungen, etwa in Hamburg oder Berlin. Alleine die Erzeugnisse der Firmen Lehmann und Märklin füllten bereits eine ganze Wand. Manche der berühmten Lehmann-Spielzeuge wurden schon seit Jahrzehnten nahezu unverändert hergestellt, etwa der bunte Wagen mit dem störrisch bockenden Esel, das tanzende Schwein oder der Dienstmann, der eine Gepäckkarre zog. Sie stammten aus einer zeitlosen, fröhlichen Phantasiewelt. Ganz anders hingegen die Autos, Flugzeuge und Eisenbahnen von Märklin, die fast schon unterkühlt realistisch stets den neuesten Stand der Technik wiedergaben, passend verkleinert für Kinderhände. Daneben warteten die zwar weniger inspirierten und weniger eindrucksvollen, jedoch gleichfalls hochwertigen Spielzeuge anderer großer Hersteller wie Bing oder Distler auf Käufer. Allen gemein war, dass sie aus
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