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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Leitung waagerecht, aber bald begann sie spürbar anzusteigen. Dafür war der Boden auch nicht mit übel riechendem Schlamm bedeckt, sondern knochentrocken. Je weiter Prieß vorankam, desto häufiger schien durch die Gullydeckel das weiße Licht der Straßenbeleuchtung von oben herein.
    Hamlet … was kann dieses Unternehmen Hamlet bloß sein? , fragte er sich. Schon der Name gefällt mir gar nicht … Sein oder Nichtsein … alles oder nichts … das hat so was Endgültiges, Bedrohliches. Und warum sind die nur so erpicht darauf, die Engländer zur Weißglut zu treiben? Dann stecken sie auch noch hinter der Sache mit den amerikanischen Patenten … Was soll das bloß …?
    Das harte Knurren eines Hundes schnitt Prieß’ Gedankengang abrupt ab. Er erstarrte augenblicklich und fühlte das Blut schlagartig aus der Leibesmitte entweichen. Nur eine Armlänge vor ihm fiel Licht durch einen Kanaldeckel. Atemlos hörte er, wie die Krallen des Hundes drohend am Eisengitter kratzten. Er war entdeckt!
    »Ruhig, Hasso«, sagte jemand beschwichtigend, »ganz ruhig. Guter Hund!«
    »Was hat der blöde Köter denn jetzt schon wieder?«, schimpfte ein zweiter Mann.
    »Er hat etwas gewittert …«
    »Da unten in den Abflussrohren? Ja, sicher doch. Ich hab diesen Hund langsam satt, bei jeder Ratte und jedem Karnickel dreht er sofort durch. Na komm schon, wir gehen weiter.«
    Zusammen mit den sich entfernenden Schritten wurde auch das böse Grollen des Hundes leiser und verschwand schließlich. Prieß fühlte kalten Schweiß von seiner Stirn tropfen.
    Es dauerte eine geraume Weile, bis er den Schrecken überwunden hatte und seinen Weg fortsetzen konnte, nun aber viel vorsichtiger. Immer weiter kroch er das Rohr hinauf. Viermal passierte er Gabelungen, die er in der Dunkelheit nur deshalb bemerkte, weil sich die in den Boden eingelassene Rinne teilte. Er ignorierte sie, denn er wusste, dass sein Weg geradeaus führte.
    Schließlich erreichte er sein Ziel, den Scheitelpunkt der Röhre. Diffuses kaltes Licht drang durch eine Gullyöffnung, gerade hell genug, damit Prieß die Abzweigung nach links erkennen konnte. Aber war er hier überhaupt an der richtigen Stelle? Behutsam richtete er sich auf, bis er durch das Gitter des Kanaldeckels hinaussehen konnte. Über ihm ragte der Glockenturm der ehemaligen Heilanstalt in den schwarzen Himmel; aus der ungewohnten Perspektive wirkte das Bauwerk massig und Angst einflößend. Es war genau das, was Prieß zu sehen gehofft hatte. Die Öffnung zu seiner Linken war also wirklich der gesuchte Überlauf.
    Ohne lange zu zögern, kroch er hinein. Das Rohr war nur wenige Meter lang, aber es führte so steil abwärts, dass Prieß kaum Halt fand und auf den vom Wasser glatt gewaschenen Ziegelsteinen beinahe ungebremst hinabrutschte. Als die Röhre plötzlich endete, stürzte Friedrich mit den Armen voran auf Beton. Er verletzte sich zwar nicht, aber dennoch war es eine schmerzhafte Landung.
    Während er sich wieder aufrappelte und seine angeschlagenen Ellbogen rieb, biss er sich fest auf die Zunge, um nicht in wüste Flüche auszubrechen. Jetzt nahm er auch den Gestank von Exkrementen und Urin wahr, so konzentriert und beißend, dass er sich die Fäulnisdünste im Entwässerungsrohr zurückwünschte. Es war abstoßend, aber zumindest zeigte es ihm unmissverständlich, dass er tatsächlich in die Kanalisation des Instituts gelangt war.
    Prieß zog die Lampe aus dem Rucksack und schaltete sie an. Sofort zuckte er zurück, weil er sah, dass er direkt am Rand der Abwasserrinne stand, durch die ein flaches braungelbes Rinnsal müde dahinfloss. Der seitliche Wartungssteg war an dieser Stelle etwas breiter, weil hier eine Metalleiter zu einer Einstiegsluke hinaufführte; nur das hatte Friedrich um Haaresbreite davor bewahrt, in die bestialisch stinkenden Abwässer zu stürzen. Der Aufschlag auf den harten Betonboden war also das kleinere und eindeutig weniger unangenehme Übel gewesen.
    Er setzte seinen Weg fort und hielt dabei die Taschenlampe ständig auf den schmalen Seitensteg vor sich gerichtet. Der strenge Geruch machte Prieß zu schaffen, aber zumindest konnte er nun fast aufrecht gehen und kam recht schnell voran. Doch nicht lange, denn schon nach einigen Biegungen blockierte unvermittelt ein Gittertor die Kanalröhre.
    Warnung! Einleitung schädlicher Substanzen. Unbefugten ist der Zutritt strengstens untersagt! , verkündete ein Schild.
    Prieß leuchtete zwischen den Gitterstäben hindurch. Der

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