Kaisertag (German Edition)
telefonisch beim Polizeirevier entschuldigt, damit man Sie nicht vermisst. Wir haben gemeinsam dringende Fragen des bevorstehenden Kaisertages beraten.«
Friedrich und Alexandra verabschiedeten sich vom Senator und stiegen in das Auto. Der Kies knirschte unter den Rädern, als sich der Wagen in Bewegung setzte und dann durch das Tor auf die Landstraße hinausrollte.
Über eine halbe Stunde lang sah Alexandra schweigend aus dem Fenster. Ob sie von der vorüberziehenden Landschaft tatsächlich etwas wahrnahm, bezweifelte Prieß. Ihre Augen waren auf einen unendlich weit entfernten imaginären Punkt gerichtet, und zwischen ihren Brauen war eine schmale Falte entstanden, die erahnen ließ, dass sie sehr intensiv nachdachte. Er kannte diesen Ausdruck noch von früher, wenn sie über ihren Lehrbüchern gesessen und über einem komplexen juristischen Problem gebrütet hatte.
Schließlich ertrug er die Stille nicht länger und versuchte zu sagen, was ihm gerade durch den Kopf ging:
»Eine unheimliche Vorstellung, dass die Puppenspieler alles kontrollieren. Aber wenn ich so überlege, verstehe ich jetzt nach und nach einiges besser, was um uns herum vorgeht …«
Alexandra drehte sich herum und schaute Friedrich an. »Du verstehst einiges besser?«, fragte sie spitz. »Wie erfreulich. Und was verstehst du nun, wenn ich fragen darf?«
»Also … zum Beispiel, wieso Automobile fast unerschwinglich sind. Die Verschwörer wollen einfach nicht, dass zu viele Menschen ein eigenes Auto haben, weil sich dadurch viel ändern würde. Schau doch nur mal nach Amerika. Wir wurden richtig betrogen um unsere …«
»Betrogen!« Sie stieß das Wort halb wütend, halb spöttisch hervor. »Das ist für dich also das Wichtigste? Dann will ich dir mal sagen, was echter Betrug ist! Ich bin Polizeipräsidentin eines deutschen Staates und darf trotzdem nicht einmal in Lübeck bei einer Wahl meine Stimme abgeben! Wenn ich verheiratet wäre, dürfte ich ohne Erlaubnis meines Ehemanns keinen Beruf ausüben. Aber falls mein Herr und Meister mir gnädigerweise erlauben würde zu arbeiten, dann hätte er über das Geld, das ich verdiene, die Verfügungsgewalt. Und wenn er eines Tages der Meinung wäre, ich vernachlässige wegen meines Berufes meine häuslichen Pflichten, dann könnte er zu meinem Chef gehen und meine Kündigung einreichen, ohne mich auch nur fragen zu müssen! Ich habe mich tausendmal über diese haarsträubenden, schwachsinnigen Ungerechtigkeiten geärgert. Jetzt weiß ich, warum sich daran nie etwas geändert hat, obwohl ich beileibe nicht die Einzige bin, die so denkt. Du fühlst dich betrogen, weil du dir keinen schicken Horch leisten kannst? Du tust mir leid, Fritz.«
»Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht«, meinte Prieß verlegen.
»Weil es dich nicht betroffen hat. Du bist ja keine Frau. Aber ich habe sowieso schon viel früher als du meine Lektion gelernt. Erinnerst du dich an den Frühling 1968?«
Er kratzte sich am Kinn. »Warte mal … da habe ich die Offiziersprüfung abgelegt und wurde zum Leutnant befördert.«
»Aber an die Studentenunruhen denkst du dabei gar nicht, was? Na, kein Wunder. Du hast ja auch die meiste Zeit in der Kaserne hocken müssen, schön abgeschottet von der Welt.«
»Jetzt tust du mir aber unrecht«, wehrte Prieß sich. »Von den sozialistischen Krawallen an den Universitäten wusste ich sehr wohl!«
»Gar nichts hast du gewusst. Jedenfalls nicht die Wahrheit. In den Zeitungen standen nichts als Lügen. Ich habe alles aus nächster Nähe erlebt. Die Studenten um Dutschke waren keine sozialistischen Anarchisten. Sie haben nur offen gesagt, dass unsere Gesellschaft völlig verkrustet ist, und Reformen gefordert. Das hat den Puppenspielern wohl nicht ins Konzept gepasst. Ich habe selber gesehen, wie brutal das Militär die große Studentenversammlung am ersten Mai niedergeknüppelt hat. Und dann kam die Geheime Reichssicherheitspolizei und hat Jagd auf jeden gemacht, der ihr irgendwie verdächtig erschien. Hunderte haben sie wegen angeblichen Hochverrats verhaftet, viele verschwanden später in den Gefängnissen. Wenn ich dir erzähle, wie es einigen meiner Kommilitonen bei den Verhören ergangen ist, würdest du kotzen.«
Verwirrt stotterte Prieß: »Ja … ja, aber … wieso hast du mir damals nichts davon erzählt?«
Ihr Mund krümmte sich zu einem traurigen Lächeln, als sie antwortete:
»Überleg einmal, wer du damals warst.«
Schwungvoll legte Alexandra die
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