Kaisertag (German Edition)
reichlich fließenden Schweiß vom Gesicht, ehe er den Hals entlang in den steifen Uniformkragen rinnen konnte. »Da bin ich Ihrer Ansicht, Miss Conway. Ein bisschen was verstehe ich ja nun auch vom Schießen. Von hier aus hat man die Zufahrt zum Hanseplatz und die Tribüne im Blick, ohne dass man selber gesehen wird. Und trotzdem, der Mann ist nicht hier.«
»Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir im Augenblick irgend etwas grundlegend verkehrt machen … dass wir bei unserer Suche etwas ganz Offensichtliches, Naheliegendes übersehen …«, vermutete die Engländerin mit einem ratlosen Schulterzucken.
Vom Hanseplatz her waren plötzlich aufbrandender Beifall, Hurrarufe und laut schallende Marschmusik vernehmbar. Yvonne Conway und Friedrich Prieß schauten hinüber und sahen, wie Bewegung in die schon versammelte Menschenmenge kam.
»Das wird wohl Feldmarschall Rommel sein«, vermutete der Detektiv.
Die britische Agentin nickte. »Dann bleiben uns noch gut zehn Minuten. Kommen Sie, wir haben uns noch nicht ganz oben auf der Wallkrone umgesehen.«
Der Kapellmeister der angetretenen Regimentsmusik ließ, nicht eben originell, den Marsch des China-Korps spielen, als der Feldmarschall, von seinem Adjutanten gestützt, aus dem Automobil stieg. Die Zuschauer, die trotz ihrer Begeisterung und Neugier gebührenden Abstand wahrten, begrüßten den Sieger aus dem lange zurückliegenden Krieg mit lautem Beifall; ältere Männer nahmen bei seinem Anblick unwillkürlich Haltung an, und Mütter hoben ihre kleinen Kinder hoch, damit sie später erzählen konnten, sie hätten den Grafen von Kai-Feng gesehen. Für die meisten war er eine schon fast der realen Welt entrückte Legendengestalt, einer jener großen Helden, deren Namen sie in der Schule gelernt hatten. Und obwohl es dafür keinen wirklichen Grund gab, hatten ihn sehr viele bereits für tot gehalten, ganz einfach deshalb, weil es schwerfiel, sich einen solchen verklärten Helden als lebendigen Menschen, als Zeitgenossen vorzustellen. Dass er nur noch wenig Ähnlichkeit mit den offiziellen Fotografien in den Lesebüchern hatte, dass er ein gebrechlicher, unglaublich alter Mann war, bedeutete für niemanden eine Enttäuschung. Es hatte im Gegenteil eher den Anschein, als hätte sein außergewöhnliches Alter Marschall Rommel in den Augen der versammelten Menge endgültig aus der Reihe der Normalsterblichen herausgehoben.
Der Bürgermeister und die Senatoren standen mit ihren Ehefrauen zur Begrüßung des Kriegshelden bereit. Während sie nacheinander vortraten, dem Feldmarschall die Hand reichten und versicherten, welche Ehre ihnen diese Begegnung sei, bahnte sich Alexandra ihren Weg durch das dicht gedrängt stehende Publikum, bis sie endlich zu Herbert Frahm gelangte. Weil sie die ganze Strecke von der Marienkirche bis zum Hanseplatz gelaufen war, so schnell es ihre Kondition und die hohen Absätze zuließen, war sie völlig außer Atem und brachte zunächst kein Wort heraus. Aber das war auch gar nicht nötig. Ihr Gesichtsausdruck verriet dem Senator, dass sie sehr schlechte Neuigkeiten brachte. Er versprach seiner Frau, sofort wieder zurückzukommen, und löste sich dann fast unbemerkt aus der Gruppe seiner Amtskollegen, um in einem ruhigen Winkel hinter der Tribüne ungestört mit der Polizeipräsidentin reden zu können.
Sehr geehrter Herr Dr. Wilhelm,
es ist definitiv festgelegt worden, dass Operation »Hamlet« am 5. Juni durchgeführt wird. Während seines Besuches in Lübeck wird ein Scharfschütze der Sonderbrigade den Kaiser eliminieren. Unmittelbar danach wird die Atombombe zur Explosion gebracht, sodass die Stadt weitestgehend der Vernichtung anheimfällt. Dieser Doppelanschlag dient der Absicherung: Sollte der Schütze wider Erwarten sein Ziel verfehlen, führt die Bombe den Tod des Kaisers herbei. Die Zerstörung Lübecks wird ein Übriges tun, um im Volke den Wunsch nach Vergeltung an Dänemark zu wecken. Versagt aber die Bombe, wird auch die Ermordung des Kaisers alleine diesen Zweck erfüllen, wenn auch weniger effektvoll.
Selbstverständlich weiß der Scharfschütze nicht, dass zwei andere Soldaten der Sonderbrigade ihn gleich nach Erfüllung seines Auftrags töten sollen, damit seine Leiche, falls die Atombombe ausfällt, der Öffentlichkeit als die eines dänischen Attentäters präsentiert werden kann.
Durch den Tod Wilhelms V. wird automatisch sein Onkel, Prinz Eitel Joachim, sein Nachfolger auf dem Thron. Es
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