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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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gestanden hatte.
      
    Der Rumpf der Kronprinzessin Sophie Viktoria wurde nahezu vollständig von Gaszellen ausgefüllt. Nur ein Bereich im hinteren Teil des Luftschiffes bildete dabei eine Ausnahme, denn hier nahm die Gaszelle nur den oberen Teil der Sektion ein. Der so gewonnene Raum zwischen dem Axialsteg, der sich in der Mitte des Rumpfes durch das ganze Schiff zog, und dem schmalen Wartungslaufgang im Kiel war über fünfzehn Meter hoch. Zwei eingezogene Zwischenböden aus stabilen Gitterrosten und eine Laufkatze mit Kran unter dem Axialsteg verwandelten ihn in einen großzügig bemessenen Frachtraum. Wenn das Schiff nicht gerade Bomben trug, konnte es hier bis zu zwanzig Tonnen Last aufnehmen. Beladen wurde es dann durch den gewölbten Boden, wo unter einem herausnehmbaren Abschnitt des Laufgangs eine quadratische Fläche von fünf Metern Seitenlänge nicht von den dichtmaschigen Drahtverspannungen überzogen war, die der Stoffhülle sonst überall von innen Stabilität verliehen. Dort ließen sich die Stoffbahnen entfernen, sodass sich eine große Ladeluke nach unten öffnete. Normalerweise verfügten militärische Luftschiffe nicht über Laderäume von solchen Ausmaßen; der Verzicht auf eine halbe Gaszelle verringerte den Auftrieb nämlich spürbar. Doch die Sophie Viktoria war ein Schulschiff, das zu Übungszwecken möglichst viele Vorrichtungen in sich vereinen sollte, also hatte sie neben Bombenschächten und einer kompletten Wetterstation auch einen Laderaum erhalten.
    Der Kommandant hielt sich dort jedoch nicht auf. Prieß hatte jeden Winkel des gespenstisch düsteren Raumes ohne Erfolg abgesucht. Hauptmann Francke hatte sich wohl schon längst wieder in die Führergondel am Bug zurückbegeben.
    Friedrich knirschte wütend mit den Zähnen. Die Zeit rannte ihm davon; er hatte wertvolle, vielleicht entscheidende Minuten in diesem leeren Frachtraum vertan. Wenn er den Kommandanten noch rechtzeitig vor der drohenden Gefahr warnen wollte, musste er rasch nach vorne zur Brücke. Aber nicht über den Laufgang, denn auf dem nur knapp dreißig Zentimeter breiten Steg aus gummibelegtem Blech hätte er nicht schnell genug zur Spitze des Schiffes laufen können. Er entschied sich, den Rumpf wieder über das Fallreep zu verlassen.
    Hastig erreichte er die Ausstiegsöffnung und wollte schon die Treppe hinabsteigen, als er wie versteinert stehen blieb: Am Fuß des Fallreeps lag ein Soldat mit dem Gesicht nach unten im Gras. Der hellblaue Stoff seiner Uniform war auf dem Rücken aufgerissen, Blut floss aus einem klaffenden Loch, färbte das gelbliche Gras rot und versickerte in der ausgetrockneten Erde.
    Erschrocken machte Prieß einen ruckartigen Schritt zurück. Sie waren also schon da! Und sie hatten die Mannschaft überwältigt. Was sollte er nun tun? Den Zeppelin wieder zu verlassen, war jetzt unmöglich. Zu groß war die Gefahr, dass sie ihn bemerkten.
    Und dann ende ich genauso wie das arme Schwein da unten. Nein, ich muss mir was anderes einfallen lassen. Nimm dich zusammen, Friedrich Prieß! Denk nach! Denk nach!
      
    Der Kaiser hatte die Ehrenkompanie vor dem Bahnhof abgeschritten und nahm nun mit dem Bürgermeister in dem großen Horch-Cabriolet Platz. An den Kotflügeln zu beiden Seiten des chromglänzenden Kühlers wehten mit Goldfransen gesäumte Stander, links der Lübecker Adler auf weiß-rotem Grund, rechts die Kaiserstandarte mit dem gekrönten Reichsadler. Der Adjutant des Monarchen und zwei weitere Reiseoffiziere, die sich im Hintergrund zu halten hatten, bestiegen ein zweites, etwas bescheideneres Automobil der Lübecker Staatsremise. Dann setzte sich der Zug, angeführt von einer Eskorte mecklenburgischer Dragoner, an deren Stahlrohrlanzen gelb-rote Fähnchen flatterten, im Schritttempo in Bewegung.
    Füsiliere des Lübecker Regiments bildeten vom Bahnhof bis zum Hanseplatz Spalier an den Straßenrändern, und hinter den Soldaten drängten sich auf der gesamten Strecke Zuschauer, die immer wieder laute Hochrufe ausbrachten. Der junge Kaiser winkte ihnen zu und lächelte pflichtschuldigst. Natürlich freute es ihn, so beliebt zu sein. Doch wenn er an den unvermeidbaren formellen Teil dieses Besuchs dachte, verdarb ihm das die Stimmung sofort wieder. Er sollte ein Kirchenfenster bewundern, nur weil sein Ururgroßvater es gestiftet hatte, an einem steifen Festbankett teilnehmen und sich die gestelzten patriotischen Reden lokaler Würdenträger anhören. Wer dachte sich nur immer die

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