Kaisertag (German Edition)
hilflos die Schultern. »Von Bülow müsste irgendwo hier in der Nähe sein … aber wo genau, weiß der Himmel.«
»Dann haben wir gar keine andere Wahl. Wir müssen es einfach wagen. Sie beeilen sich, an den Feldmarschall heranzukommen, und Miss Conway und ich versuchen … wir werden den Schützen auf dem Turm beseitigen. Und nun los!« Die Polizeipräsidentin und die Geheimagentin liefen los, zum nächsten Tor im niedrigen schmiedeeisernen Zaun.
Paul von Rabenacker, dem bei dieser Verteilung der Aufgaben nicht wohl zumute war, humpelte durch die Lücke zwischen den Lastern, so rasch es sein schmerzender Fuß erlaubte. Auf der anderen Seite der Wand aus Lastwagen brandeten laute Hurrarufe aus zahllosen Kehlen auf. Der Kaiser war auf dem Hanseplatz eingetroffen.
Friedrich Prieß stand vor einer Leiter, die durch eine Luke abwärts führte; ein schwacher Schimmer Tageslicht schien von unten indirekt herauf. Links und rechts des Laufgangs befanden sich Elektromotoren, schwarze Monster, die mit vielfach übersetzten Zahnrädern Trommeln mit Stahlkabeln in Bewegung setzten. Von dort aus wurden über Seilzüge die großen Ruder an den vier Heckflossen in jede gewünschte Position geschwenkt.
Viel verstand Prieß nicht von Luftschiffen. Einiges war hängen geblieben von dem kurzen Lehrgang, den er während seiner Zeit als Offizier für die Lufttransportprüfung hatte absolvieren müssen; und natürlich verfügte er über ein wenig Allgemeinwissen, von dem das meiste aus einem Zeppelinbuch stammte, in dem er manchmal beim Frühstück geblättert hatte. An ein Kapitel konnte er sich ganz besonders gut erinnern. Es war ihm im Gedächtnis haften geblieben, weil sich Militärs normalerweise schwertun, Fehler einzugestehen. Aber bei den Schiffen der Rheingau-Klasse, als erste Luftkreuzer komplett vom Technischen Büro der Luftflotte entworfen statt von den erfahrenen Ingenieuren der Zeppelinwerke oder der Schütte-Lanz AG, ließ sich der Fehlgriff einfach nicht verheimlichen. Als die Rheingau-Schiffe in den fünfziger Jahren in Dienst gestellt wurden, hatte man sie als modernste Luftkreuzer der Welt gefeiert. Neben vielen anderen fortschrittlichen Verbesserungen verfügten sie damals als allererste Luftschiffe über eine elektrische Steuerung, die nicht mehr von der Muskelkraft der Steuermänner und komplizierten Seilzügen abhängig war. Aber leider erwies sich gerade diese besonders stolz gepriesene Neuerung als Achillesferse. Selbst die Hilfssteuerung war elektrisch, es gab keine Möglichkeit, die Zeppeline im Notfall rein mechanisch zu lenken. Über zehn Mal drifteten Schiffe dieser hochmodernen Bauart manövrierunfähig durch die Lüfte, nachdem Feuchtigkeit oder Gewitter zu Totalausfällen der elektrischen Anlage geführt hatten. Stillschweigend waren nach und nach alle Rheingau-Luftkreuzer aus dem aktiven Flottendienst entfernt und zu untergeordneten Aufgaben abgestellt worden.
Im fahlen Licht konnte Prieß zwei dick mit Kautschuk umhüllte Kabelstränge ausmachen. Einer kam aus einem Metallrohr heraus, das seitlich am Laufsteg angebracht war, der andere befand sich an der abwärtsführenden Leiter. Beide liefen zu einem hohen grauen Blechkasten. Der Kasten enthielt eine aufwendige Relaisanlage; dort wurden die Schwachstromimpulse, die von den Steuerrädern in der Führergondel kamen, umgewandelt und an die fein abgestimmten Elektromotoren weitergeleitet.
»Wenn ich das alles nur schnell genug schaffe«, murmelte Friedrich Prieß.
Er zog den Degen aus der Scheide und hackte mit kräftigen Hieben auf den Kabelbaum am Steg ein.
»Flughöhe fünfhundert erreicht, Herr Major«, meldete der Oberleutnant, und aus dem rückwärtigen Teil der Gondel rief der Funker: »Geschwader mit Funkmesspeilung erfasst, Herr Major. Ostsüdost, Entfernung achttausend, Höhe fünftausend.«
Sonnenbühl schaute aus einem der großen Fenster auf der Steuerbordseite. In der Ferne konnte er eine dünne, horizontale Linie im Sonnenlicht glitzernder Punkte am blauen Himmel ausmachen: Die Zeppeline des vereinigten 3., 4. und 8. Geschwaders der Reichsluftflotte, die schon ihre Paradeformation für den Flug über Lübeck eingenommen hatten.
»Kurs und Höhe halten. Geschwindigkeit so anpassen, dass wir die Zielkoordinaten zeitgleich mit ihnen erreichen«, befahl er. »Es wäre sehr unhöflich, wenn wir nicht nur uneingeladen in die Feier platzten, sondern auch noch zu früh kämen.«
Die Männer in der Führergondel lachten, und
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