Kaisertag (German Edition)
zweete Kamera auf den Kirchturm uffzustellen!«
Die zufällig mitgehörten Worte zuckten wie ein Blitz durch Alexandras Kopf. Welcher Kirchturm konnte damit gemeint sein? Doch wohl nur der von St. Petri! Und da der Pastor von St. Marien auch für die Petrikirche verantwortlich war, hatte niemand anderer als Dietrich Sebastian Wilhelmi des Gesuch der Meßter-Wochenschau zurückgewiesen.
»Ich hirnverbrannter Dummkopf!«, zischte Alexandra mit zusammengebissenen Zähnen, und sie lief hinüber zum Lastwagen des Berliner Filmstudios. Hastig kletterte sie die Leiter zum Dach hinauf; oben angekommen, ignorierte sie die überraschten Mienen der beiden Männer und zeigte sofort auf eine der mit langen Teleobjektiven auf Revolveraufsätzen versehenen Kameras. »Sieht man im Sucher auch alles vergrößert? Los, antworten Sie!«, fragte sie.
Der Kameramann nickte perplex. Ohne noch ein Wort zu verlieren, schwenkte Alexandra daraufhin die Kamera herum, sodass sie nicht mehr auf die Tribüne gerichtet war, sondern auf die Altstadt.
»Moment mal! Det jeht nicht, Gnädigste!«, protestierte der Kameramann.
»Im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Lübeck beschlagnahme ich dieses Gerät«, rasselte die Polizeipräsidentin eilig herunter. »Und jetzt stellen Sie mir das Ding so ein, dass ich das höchste Geschoss des Petrikirchturms sehen kann! Der da, mit den vier Seitentürmchen! Holen Sie ihn mir ganz nah ran, verstanden? Schnellstens!«
Der Berliner verzog unwillig das Gesicht, aber er riskierte keine Widerworte. Und schließlich war es ja sowieso nur die Kamera, die keinen Strom hatte. Mit wenigen routinierten Handgriffen richtete er sie auf St. Petri aus und passte dann die Einstellung des Objektivs an. Er benötigte dafür nur Sekunden, die sich für Alexandra aber zäh dahinzuschleppen schienen. Als er fertig war, schob sie ihn ungeduldig beiseite und drückte die Stirn gegen die Gummiumrandung des Suchers.
Auf der etwa handgroßen Mattscheibe war das oberste Stockwerk von St. Petri zu erkennen; die frisch herausgebrochenen großen Fensteröffnungen der halb fertiggestellten Aussichtsplattform wirkten wie die Eingänge zu dunklen Felsenhöhlen. Und hinter einer der Öffnungen stand ein Mann, der etwas Längliches, metallisch Glänzendes in Händen hielt: ein Gewehr.
»Wir haben ihn«, murmelte Alexandra erstaunt. Sie konnte es nicht fassen. Wieso nur war niemand, auch sie nicht, darauf gekommen?
Sie ließ die fragend dreinblickenden Kameraleute ohne Erklärung stehen und stieg eilig die Leiter hinab. Wenn schon die Atombombe unauffindbar war, musste zumindest der Schütze unschädlich gemacht werden! Vielleicht versagte der Große Kurfürst ja, mit sehr viel Glück, und wenn Gott sich an diesem Tag nur ein einziges Mal dazu durchringen konnte, Interesse an dem zu zeigen, was die Menschen taten.
Als die Polizeipräsidentin gerade wieder die Füße auf den Kiesboden setzte, kam Yvonne Conway mit Oberst Rabenacker zwischen den Lastwagen hervor und schwenkte aufgeregt die Arme. »Frau Dühring! Wichtige Neuigkeiten! Die Bombe soll mit großer Wahrscheinlichkeit von der Sophie Viktoria aus abgeworfen werden, dem Zeppelin der Fliegerschule! Herr Prieß ist bereits in Blankensee, um das zu verhindern, aber wir müssen Vorsorge treffen für den Fall, dass –«
»Und ich habe den Schützen! Er ist auf dem Turm der Petrikirche!«, fiel Alexandra der Engländerin ins Wort.
»Ruhe bewahren, Ruhe bewahren«, ermahnte Paul von Rabenacker die zwei Frauen, obwohl er selbst vor Nervosität ganze Silben verschluckte. »Wir wissen nicht, was Prieß in Blankensee erreicht hat. Falls der Zeppelin also trotzdem hier aufkreuzt, muss er vom Himmel geholt werden. Einer von uns muss zu Senator Frahm, nein, gleich zum Feldmarschall. Am besten Sie, Frau Dühring. Die Feldgendarmen werden Sie passieren lassen. Und ich werde zur Kirche laufen und den Schützen …«
»Sie können nicht laufen«, erinnerte ihn Yvonne Conway. »Nicht mit Ihrem verletzten Fuß. Wir machen das andersherum: Sie überbringen Rommel die Meldung, ich und Frau Dühring laufen zur Kirche und kümmern uns um den Scharfschützen.«
Rabenacker schüttelte entsetzt den Kopf. »Unmöglich! Ich kann doch zwei Frauen nicht in solche Gefahr … und außerdem wissen sind sicher Männer von der Sonderbrigade in der Nähe des Attentäters! Wie wollen Sie die alleine überwältigen?«
»Sind welche von Rommels Leuten greifbar?«, fragte Alexandra.
Der Oberst hob
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