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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Prieß«, bemerkte Deuxmoulins erfreut. »Nicht viele Menschen können sich rühmen, diesem Mann persönlich begegnet zu sein. Darf ich vorstellen, Professor Ernst Beinfeldt. Herr Professor, das ist Herr Friedrich Prieß.«
    Der Name des berühmten Wissenschaftlers ließ Prieß aufhorchen. Zwar wusste er nicht wirklich, was Professor Beinfeldt eigentlich genau tat, aber er war ja auch Privatdetektiv, kein Physiker. Aber er war stolz, einer so bekannten Geistesgröße vorgestellt zu werden, und reichte ihm die Hand.
    »Freut mich. Freut mich außerordentlich, junger Mann«, murmelte der Professor zerstreut, ging an Prieß vorbei und ließ ihn mit ausgestreckter Hand stehen. »Ich habe im Verlauf der Versuchsreihen zwölf und dreizehn einige hochinteressante Beobachtungen bei den Experimenten mit Anordnung C gemacht …«, sagte er halblaut und verschwand sinnierend im Büro des Generals.
    »So sind sie nun mal, unsere großen Gelehrten«, lachte Deuxmoulins. »Nehmen Sie es ihm nicht übel. Wie alle Heroen des Intellekts ist auch Professor Beinfeldt mit dem Kopf stets in anderen Sphären und vergisst dabei die Welt um sich herum.«
    Nach einer kurzen Verabschiedung verließ Prieß dann das Stabsgebäude. Vor dem Eingang wartete seine Eskorte auf ihn und begleitete ihn zurück zu seinem Wagen. Er konnte allerdings nicht sofort einsteigen, denn der Lastwagen einer Großwäscherei stand unmittelbar daneben an der Laderampe des Küchenhauses und versperrte wie ein massiger weißer Elefant den Zugang. Der Fahrer des Lasters durfte seinen Platz hinter dem Lenkrad nicht verlassen, und neben ihm saß ein Soldat, der dafür sorgte, dass er es auch gar nicht erst versuchte. Zwei Männer mit Kochschürzen über den feldgrauen Uniformen erschienen auf der Laderampe. Sie schleppten prall gefüllte Wäschesäcke heran, die sie durch die offene Heckklappe in den Laderaum warfen. Dann erst setzte sich der Laster in Bewegung und gab den Weg zu Prieß’ Brennabor wieder frei.
    Am Tor musste der Detektiv den Wäschereilastwagen, der ihn nun in eine stinkende Dieselwolke einhüllte, noch mal ertragen. Glücklicherweise gab es keine langwierige Kontrolle; der Soldat verließ nur das Fahrerhaus, eine der Wachen warf einen Blick auf den Berg von Wäschesäcken, dann wurde der Laster durchgewunken. Wenige Augenblicke später hob sich auch für Prieß der Schlagbaum, und er konnte sich auf den Weg zur nächsten Station dieses Tages machen.
      
    Friedhelm Boyens war, wie die blonde Fotoassistentin im Atelier Castelli Prieß wissen ließ, nicht anwesend, da er eine Hochzeit im Bild festhalten musste. Aber sie überreichte dem Detektiv einen großformatigen braunen Umschlag, den der Fotograf für ihn hinterlassen hatte.
    Im Auto öffnete Friedrich Prieß den Umschlag und nahm die Aufnahmen flüchtig in Augenschein. Es waren zehn Schwarz-Weiß-Fotos und vier Farbbilder, alle zeigten den im Dreck liegenden Toten aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Da lag ein Mann mit ergrautem, dünnem Haar und bräunlichem Anzug mit dem Gesicht nach unten. Die Arme hatte er von sich gestreckt, als wäre er nur gestolpert und hingefallen. Mit der rechten Hand hielt er immer noch die Pistole umklammert, und nur ein unscheinbares, rot verkrustetes Loch an der Seite des Kopfes verriet, woran dieser Mensch gestorben war.
    Es lief Prieß kalt den Rücken herunter. In den üblen Gegenden Hamburgs hatte er Menschen gesehen, die weitaus schlimmer zugerichtet waren: Freier, die sich geweigert hatten, den vereinbarten Preis zu zahlen, und daraufhin die Fäuste der Zuhälter spüren mussten; betrunkene Seeleute, die im Vollrausch mit Tischbeinen und Messern aufeinander losgegangen waren; Ganoven, die ihre Spießgesellen an die Polizei verraten und für diesen Verstoß gegen die ungeschriebenen Regeln der Unterwelt eine schmerzhafte Quittung bekommen hatten. Im Vergleich zu vielem, was Prieß im Laufe der Jahre alleine in St. Pauli an Verletzungen und Blut gesehen hatte, waren diese Bilder eher harmlos. Aber bei allen diesen Brutalitäten, deren Zeuge er schon war, hatte es niemals Tote gegeben. Er hatte bis vor wenigen Augenblicken auch nicht gewusst, wie ein Mensch aussah, den eine Kugel aus dem Leben gerissen hatte. Nun wurde er zum ersten Mal in seinem Leben mit einem solchen Anblick konfrontiert, und er fühlte sich abgestoßen. Dort lag ein lebloser Körper, durch die zweidimensionale Distanz der Fotos zusätzlich erstarrt. Und gerade die Tatsache, dass keine der

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