Kaisertag (German Edition)
neues Problem: Der Oberst stand bei einer kleinen Gruppe türkischer Militärs, die schon von Weitem an ihren roten Fezen zu erkennen waren. Den Ranghöchsten von ihnen erkannte Prieß sofort, denn es war der Militärattaché der Osmanischen Republik, der häufig in den Zeitungen und Wochenschauen auftauchte. Und ausgerechnet mit ihm war der Oberst in ein Gespräch vertieft; lebhaft analysierten und kommentierten die beiden Männer das vor ihren Augen ablaufende Manöver.
Prieß kratzte sich ratlos am Kinn. Als simpler Leutnant konnte er nicht einfach in die Unterhaltung zweier hoher Offiziere platzen. Er musste also warten, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab. Unauffällig näherte er sich der Gruppe von der Seite her so weit, dass er das Gespräch verfolgen und den geeigneten Moment abpassen konnte.
»Eine ganz ausgezeichnete Leistung«, lobte der Türke, ein Generalleutnant mit rechteckig gestutzem Vollbart und reichem Ordensschmuck, in perfektem Deutsch. Er deutete auf die mecklenburgische Infanterie, die zum klingenden Spiel zweier Regimentskapellen in sauberer Formation über das Schlachtfeld vorrückte. »Selten sieht man so perfekt ausgeführte Bewegungen. Ein wunderbares Schauspiel, Herr Oberst.«
Von Rabenacker wiegte zweifelnd den Kopf. » C’est magnifique, mais ce n’est pas la guerre , um es mit den Worten von General Bosquet zu sagen, Yüksel Pascha. Ja, es ist ein Schauspiel, aber mehr auch nicht. Mit der Wirklichkeit eines europäischen Krieges hätte das wenig zu tun.«
Die Skepsis des Obersts verwunderte Yüksel Pascha. »Was bringt Sie auf diesen Gedanken? Haben Ihre großartigen Truppen denn nicht 1871 das mächtige Frankreich in die Knie gezwungen?«
»Sicher, das haben sie. Aber das war vor fast hundertzwanzig Jahren. Inzwischen haben wir Luftschiffe, Flugzeuge, Funkgeräte. Dieser eindrucksvolle Angriff der Ulanen, den Sie vorhin so bewundert haben, wäre in der Realität im Feuer von Maschinengewehren zusammengebrochen. Was wir hier zu sehen bekommen, Yüksel Pascha, ist Ausdruck einer Illusion. Dabei wussten wir es doch schon einmal besser. Damals, als der Russisch-Japanische Krieg den Generalstab aufgerüttelt hatte. Unsere Soldaten zogen in Feldgrau ins Manöver und lernten, Schützengräben auszuheben. Aber anscheinend haben wir das alles wieder vergessen.«
»Dann aber, Herr Oberst, hat nicht nur Ihr Land dies vergessen, sondern ebenso die Armeen aller zivilisierten Staaten.«
Nachdenklich strich sich von Rabenacker über den Schnurrbart. »Für mich ist das eher beunruhigend als tröstlich. Diese Borniertheit, mit der die Generalstäbe den Widerspruch zwischen den modernen Waffen und der Taktik des neunzehnten Jahrhunderts ignorieren … und wenn etwas doch einmal die Unsinnigkeit solcher Konzepte zutage treten lässt, wird es beiseitegeschoben. Dann bezeichnet man es als einen Sonderfall, der nicht maßgeblich ist. Denken Sie nur an 1958, Yüksel Pascha. Sind die Griechen damals auch so aufmarschiert, in bunten Uniformen, mit flatternden Fahnen und Musik?«
Der Generalleutnant verzog den Mund. Kein Türke wurde gerne an den Fünften Balkankrieg erinnert, in dem die griechische Armee den europäischen Teil des Osmanischen Reiches überrannt hatte. Für die Griechen war damals ein fünf Jahrhunderte alter Traum in Erfüllung gegangen: Die Rückeroberung Konstantinopels. Für die Türken war es der Beginn eines Jahrzehnts der Erniedrigung gewesen, in dem Chaos und Zerfall das Land heimgesucht hatten. Und andere Mächte hatten diese Zustände weidlich ausgenutzt.
»Nein«, entgegnete der Türke grimmig, »in der Tat nicht. Die Hunde trugen das Khaki ihrer britischen Ausbilder, und sie stellten sich auch nicht zur Schlacht, wie es echte Soldaten tun. Sie kämpften wie feige Banditen, sie kamen aus dem Hinterhalt, aus den Bergen, umgingen uns und fielen in unser Hinterland ein.« Dann kehrte ein mildes, optimistisches Lächeln in sein Gesicht zurück. »Aber mit Allahs Hilfe und der Unterstützung unserer deutschen Freunde werden wir, wenn eines Tages die Zeit dazu kommt, die Griechen wieder vertreiben.«
Und obwohl er es nicht aussprach, klang in seinen Worten auch mit, dass man dann Rache nehmen würde an England und Frankreich, die sich die Wirren nach der türkischen Niederlage und dem Sturz des Sultans zunutze gemacht, eine Revolution im Irak angezettelt und sich danach das Protektorat über die abtrünnige Provinz mit den reichen Erdölvorkommen gesichert
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