Kaisertag (German Edition)
hohen Stehkragen schwitzte Prieß fürchterlich, und er musste ständig achtgeben, dass ihm beim Gehen der vom Koppel herabhängende Degen nicht zwischen die Beine geriet. Auch die drückende Pickelhaube auf dem Kopf war für ihn ungewohnt, nachdem er viele Jahre lang wie die Privatdetektive in den Filmen nur weiche Hüte getragen hatte. Trotzdem hatte er die unbequeme Leutnantsuniform wieder angelegt, denn als Zivilist wäre er nicht an den Posten vorbeigekommen, die die offiziellen Manöverbeobachter von der Menschenmenge abschirmten. Ein Risiko ging Prieß damit nicht ein; er hatte jedes Recht, seine alte Uniform zu tragen, denn er war ja immer noch Leutnant der Reserve.
Er bahnte sich seinen Weg durch die Massen der Schaulustigen. Dabei entging ihm nicht, dass die Zahl der Zuschauer deutlich geringer war als zwanzig Jahre zuvor; trotzdem war das Gedränge immer noch ärgerlich genug. Endlich erreichte er sein Ziel, einen langen, flachen Höhenrücken am Rande des Manövergeländes. Eine Postenkette mit aufgepflanzten Bajonetten sorgte dafür, dass keine Unbefugten die hohen und höchsten Herrschaften, Stabsoffiziere und ausländischen Gäste störten, die von hier aus das Geschehen verfolgten. Prieß hingegen ließen die Soldaten anstandslos und mit zackig präsentierten Karabinern passieren. Der Detektiv atmete unhörbar auf, weil niemand bemerkt hatte, dass seine Uniform völlig veraltet war und nicht den gültigen Vorschriften entsprach. Dann begab er sich auf die Suche nach Oberst von Rabenacker, der nach seinen Informationen hier sein sollte.
Aus seinem letzten Telefongespräch mit Franziska Diebnitz wusste er zwar in etwa, wie der Mann aussah, nach dem er hier Ausschau halten musste; aber er merkte bald, dass er mit dieser Beschreibung alleine nicht weit kommen würde. Um ihn herum wimmelte es von Offizieren aller Nationen, und es war ein aussichtsloses Unterfangen, in diesem Gewirr bunter Uniformen eine einzelne Person aufspüren zu wollen. Hinzu kam, dass Prieß sich kaum konzentrieren konnte, weil er ständig Ranghöhere grüßen musste. Das Maß voll machten die in großer Zahl wichtigtuerisch umherschlendernden Gardehusaren, die ihre üppig mit Silberschnüren besetzte Aufmachung zur Schau trugen. Sie gehörten zur Leibwache Prinz Eitel Joachims, und wo sie waren, konnte der in alles Militärische hoffnungslos vernarrte Onkel des Kaisers nicht weit sein. Sie stolzierten in ganzen Scharen umher und machten schon alleine dadurch Prieß’ Versuche zunichte, einen klaren Überblick zu gewinnen. Schließlich wurde es ihm zu bunt. Er hielt den erstbesten Melder an, der mit einer Kuriermappe unter dem Arm an ihm vorbeilaufen wollte, und schnarrte streng: »Soldat! Können Sie nicht grüßen?«
Der Kurier, offenbar ein Wehrpflichtiger, blieb stehen. »Bitte Herrn Leutnant um Verzeihung«, rasselte er herunter und holte daraufhin den Gruß ziemlich lustlos nach. Prieß war ein wenig enttäuscht, weil seine Zurechtweisung keinen allzu großen Eindruck auf den Soldaten gemacht hatte. Früher hatten Rekruten leichenblass strammgestanden, wenn ein Offizier sie scharf auf Nachlässigkeiten hinwies. Der Respekt der jungen Leute vor den erlauchten Herren Rittmeistern und Leutnants schien also tatsächlich zu schwinden, genau wie in den Zeitungen immer wieder beklagt wurde.
Prieß nickte gönnerhaft. »Nun gut, für diesmal will ich’s vergessen. Wo finde ich Oberst von Rabenacker?«
»Dort auf dem Hügel, wo der Mast mit der türkischen Fahne ist. Herr Leutnant können’s gar nicht verfehlen«, gab der Soldat zur Antwort, ohne in Wortwahl oder Tonfall übermäßigen Respekt zu zeigen. Der Detektiv nahm die Auskunft entgegen und entließ dann den Melder, der nochmals ausgesprochen lasch salutierte und sich dann wieder auf den Weg machte.
Vielleicht ändert sich ja wirklich was , dachte Prieß. Damals hätte kein Rekrut sich getraut, so mit einem Offizier zu sprechen. Wenn’s noch mehr wie den gibt, geht der ganze Laden sicher bald den Bach runter …
Prieß konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen und ging schnellen Schrittes in Richtung des Hügels, über dem die Standarte mit dem Halbmond träge von ihrem Flaggenmast hinabhing.
Mitte fünfzig, untersetzt, mit ergrauendem blonden Schnurrbart und Monokel – nur einer der deutschen Offiziere, die sich bei der türkischen Delegation aufhielten, entsprach dieser Beschreibung. Prieß hatte Paul von Rabenacker gefunden, doch nun ergab sich ein
Weitere Kostenlose Bücher