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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Morgenblatt ereiferte sich über die britischen Forderungen nach einer radikalen Reduzierung der deutschen Textilexporte. Dank seiner verbliebenen Abiturkenntnisse der französischen Sprache verstand er genug von den Überschriften des Le Matin , um zu wissen, dass man in Frankreich sehr ungehalten war über die Anwesenheit deutscher Militärberater in der Osmanischen Republik. Am beunruhigendsten waren die groß aufgemachte Schlagzeile des Daily Telegraph vom Vortag und die heutige Reaktion im Berliner Tag . Der englischen Zeitung zufolge hatte der Inlandsgeheimdienst der USA nach langen Ermittlungen aufgedeckt, dass deutsche Konzerne über Scheinfirmen und Strohmänner angeblich seit mindestens sechs Jahrzehnten im großen Stil Patente in allen zivilisierten Staaten aufkauften. Und zwar nicht, um diese Erfindungen selber zu nutzen, sondern um sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Nach diesen schwerwiegenden Vorwürfen war der Gegenschlag auf dem Fuße gefolgt; der Berliner Tag wetterte gegen die verlogene Infamie gewisser Staaten, die auf Deutschlands wirtschaftliche und industrielle Erfolge neidisch waren und denen keine Methode niederträchtig genug war, um das Ansehen des Reiches in den Schmutz zu ziehen.
    Ein schaler Geschmack breitete sich in Prieß’ Mund aus. Er beschloss, auf den Kauf von Zeitungen an diesem Tag ganz zu verzichten, und verließ die Buchhandlung. Er musste sich beeilen, wenn er pünktlich bei Alexandra Dühring sein wollte.
      
    Noch lag ein letzter Rest nächtlicher Frische über der Wiese, aber der wolkenlose blaue Himmel ließ keinen Zweifel, dass auch dieser Pfingstmontag mindestens ebenso warm werden würde wie die vorangegangenen Tage.
    Friedrich und Alexandra standen an der Stelle, wo Diebnitz’ Körper gelegen hatte, und versuchten, den Ablauf der Geschehnisse zu rekonstruieren, in der Hoffnung, dabei auf etwas zu stoßen, das sie bisher übersehen hatten.
    »Und dann haben sie ihn also hierher gebracht … bis zu diesem Punkt dort.« Mit einer Handbewegung deutete er an, wie die Unbekannten den toten Diebnitz umhergetragen haben könnten. Am Ende der Geste wies sein Zeigefinger auf den Fundort der Leiche; allerdings war der unbefestigte Weg durch die sommerliche Hitze nun nicht mehr schlammig, sondern knochentrocken und bizarr verkrustet.
    Alexandra Dühring nickte zustimmend, meinte aber gleichzeitig unzufrieden: »Sie haben ihn drei Meter weit durch Matsch geschleppt. Dabei müssen diese Leute im weichen Boden tiefe Fußabdrücke hinterlassen haben. Zur Hölle, ist die Kieler Spurensicherung denn so unfähig? Jetzt ist hier natürlich nichts mehr zu finden!«
    »Ich fürchte, wir kommen hier nicht weiter, Alexa. Alle Spuren, die es hier vielleicht gab, sind inzwischen verschwunden.«
    Sie antwortete nicht, schaute nur nachdenklich auf den Boden. An der Art, wie sie die Arme vor der Brust verschränkt hatte und wie sie auf ihre Unterlippe biss, erkannte Prieß, dass sie über diese unfassbaren Versäumnisse wütend war. Vor diesem schwelenden Zorn fürchtete er sich, und er versuchte auch nicht, sich etwas anderes einzureden. Aber zugleich war er fasziniert von dem Kontrast zwischen Alexandras Wut und der Schönheit ihrer Erscheinung. Ein langes weißes Kleid floss um ihren Körper, darüber trug sie einen blauen Blazer. Diese heitere Leichtigkeit wollte überhaupt nicht zu dem grüblerischen Ärger passen, der aus jeder ihrer Bewegungen sprach. Prieß war von diesem Gegensatz gefesselt und konnte sich von Alexandras Anblick nicht losreißen. Und während er sie ansah, fühlte er in sich einen ätzenden Selbsthass aufsteigen, weil er diese unglaubliche Frau durch Dummheit und Charakterschwäche für immer verloren hatte.
    Nur für wenige Sekunden war Alexandra in Gedanken versunken, dann seufzte sie säuerlich. »Na, hier werden wir nicht viel machen können. Falls es hier was zu finden gab, ist es jetzt verloren. Dafür haben die lieben Kollegen schon gesorgt. Lass uns gehen.«
    Unverrichteter Dinge kehrten sie zurück zu Alexandras Mercedes, den sie hundert Meter entfernt auf der Lübecker Seite der Grenze zurückgelassen hatten.
      
    Über den Falkenhusener Weg, der sich schnurgerade zwischen Weiden zur Linken und Getreidefeldern auf der anderen Seite zog, fuhren sie zurück in Richtung Stadt. Der Weg war breit, aber nur mit Kies bestreut; die Räder wirbelten die groben Körner in die Höhe und schleuderten sie gegen die Innenseiten der Kotflügel, wo sie laut auf das

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