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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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uneinheitlich der Inhalt des Bücherregals war, so uniform standen über dreißig Leitz-Aktenordner in einem anderen Regal gleich gegenüber. Alexandra Dühring warf einen flüchtigen Blick in einige von ihnen, fand aber nichts, was aufschlussreich aussah. Dafür enthüllten die gesammelten Unterlagen eine weitere Facette von Diebnitz’ Charakter: Er war eindeutig ein sammelwütiger Pedant gewesen, zumindest was Dokumente betraf. Jedes Papierschnitzelchen hatte er sauber abgeheftet, vom Mietvertrag für die Wohnung bis zur Rechnung für zwei Paar dunkler Herrensocken. Alleine vier Ordner trugen auf dem Rücken den Vermerk »Zeitungsausschnitte«, und in ihnen befanden sich Artikel zu allen denkbaren Themen, nach einem komplizierten System sortiert.
    Im Schlafzimmer öffnete die Polizeipräsidentin den voluminösen Kleiderschrank und fand darin Diebnitz’ Garderobe augenscheinlich vollständig vor. Sie zählte fünf Zivilanzüge, einen Cut und einen Smoking mit dazu passenden Hüten. Zwei Uniformen hingen dort gleichfalls, verpackt in durchsichtige Schutzhüllen aus Kunststoff. Es sah ganz so aus, als ob ihr Besitzer sie nicht oft getragen hätte. Auf dem Nachttisch lag noch immer Diebnitz’ letzte Bettlektüre, Ein Kampf um Rom , mit einem Lesezeichen zwischen den Seiten.
    Insgesamt sah Alexandra sich eine gute halbe Stunde in der Wohnung um, aber sie war sich ausgesprochen sicher, dass sie hier kaum etwas entdecken würde. Nicht, solange sie keine Vorstellung davon hatte, wonach sie überhaupt Ausschau halten musste. Schließlich gab sie das ziellose Stöbern auf. Sie ließ sich noch das kleine Mansardenzimmer zeigen, in dem Karl Lämmle gewohnt hatte, aber auch dort gab es nichts zu sehen. Lämmle hatte bei seiner heimlichen Abreise nichts von seinen Besitztümern zurückgelassen.
    Schließlich war sie davon überzeugt, in Diebnitz’ Wohnung nichts zu finden, was ihr von Nutzen sein würde. Sie ließ die Räume wieder verschließen und klebte ein neues Polizeisiegel über den Türspalt, wobei sie sich Dorothea Wehnickes unentwegte Verweise auf die Ansichten ihres toten Mannes anhören musste.
    »Ich danke Ihnen, dass Sie Ihre Zeit für mich geopfert haben«, meinte die Polizeichefin, als sie sich an der Haustür verabschiedete.
    »Das war doch meine Pflicht«, erwiderte die alte Frau Kommerzienrat. »Seine Pflicht sollte man mit Ernst und freudig erfüllen, pflegte mein verstorbener Gatte stets zu sagen. Diesem Grundsatz folgen Sie ja auch, da Sie selbst heute den Aufgaben Ihres Amtes nachkommen.«
    »Man tut, was man kann«, antwortete Alexandra ausweichend.
    »Ja, das ist ganz richtig. Ach, ich finde es bedauerlich, dass Sie genötigt sind, diesen Beruf auszuüben. Wissen Sie, mein verblichener Gatte vertrat stets die Ansicht, es sei unweiblich und einer Frau nicht angemessen, arbeiten zu müssen. Wir Frauen sind für solche Dinge nicht geschaffen. Daher wünsche ich Ihnen, dass Sie recht bald einen Ehemann finden und dann endlich nicht mehr gezwungen sind zu arbeiten.«
    »Guten Tag, Frau Wehnicke«, entgegnete Alexandra sehr knapp und kühl. Dann ging sie und musste sich auf dem Weg durch den Vorgarten beherrschen, um ihre Wut nicht an den Blumen auszulassen.
      
    »Ich muss sagen, du siehst in deiner Uniform immer noch richtig flott aus«, bemerkte Alexandra scherzhaft, als Friedrich Prieß die in dämmriges Abendlicht getauchte Terrasse betrat. Er war aus der Lüneburger Heide direkt nach Lübeck zurückgefahren, ohne die Offiziersmontur nach Hamburg zurückzubringen.
    »Und das Erstaunlichste ist, sie passt sogar noch perfekt«, meinte Prieß stolz, als er sich zu Alexandra an den Tisch setzte. »Wie’s aussieht, habe ich in den ganzen Jahren nicht zugenommen. Schön, dazu fehlte mir auch die Gelegenheit. Aber selbstverständlich ist das ja nicht.«
    »Es war doch bestimmt ein seltsames Gefühl, nach zwei Jahrzehnten wieder in des Kaisers Rock zu schlüpfen, oder, Fritz?«
    Er legte unschlüssig die Stirn in Falten. »Ging so. Ehrlich gesagt, ich kam mir ein bisschen lächerlich vor. Immerhin bin ich wahrscheinlich der älteste Leutnant Deutschlands. Tja, woher hätten auch meine Beförderungen kommen sollen? Ich bin ja nicht ein einziges Mal zu einer Reserveübung einberufen worden, für die bin ich praktisch tot. Aber dass jeder arme Schütze Arsch mich grüßen musste, war schon ganz nett. Das war’s dann doch wert.«
    »Und was hat dein Ausflug, abgesehen von einer sanften Stärkung deines

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