Kaisertag (German Edition)
Selbstwertgefühls, sonst erbracht?«
»Einiges, jedoch was ich daraus machen soll, weiß ich noch nicht so recht …« Er schilderte in kurzen, präzisen Worten seine Begegnung mit Paul von Rabenacker.
Alexandra hörte aufmerksam zu und legte nachdenklich die Fingerspitzen aneinander. »Er weiß etwas«, stellte sie fest, nachdem Prieß zu Ende gesprochen hatte. »Nur was, das ist die Frage.«
»Das ist eine Frage. Die andere lautet: Wie finden wir heraus, was er weiß?«
Alexandra nickte. »Übrigens, nicht nur du bist heute auf neue Rätsel gestoßen. Ich habe etwas Interessantes herausgefunden, als ich heute bei der Wehnicke war. Drei Männer haben sich als Polizisten ausgegeben und in Diebnitz’ Wohnung umgeschaut. Was sie da gesucht oder gefunden haben, kann ich allerdings nicht sagen. Noch nicht.«
Prieß’ Augen weiteten sich vor Erstaunen. »War die Wohnung denn durchwühlt?«
»Nein, überhaupt nicht«, verneinte Alexandra. »Sie haben sich alle Mühe gegeben, keine Spuren zu hinterlassen. Und ich wäre wohl auch nie dahintergekommen, hätten sie nicht ein gefälschtes Siegel an der Tür angebracht. Reiner Zufall, dass ich den einzigen Fehler dieser fast vollkommenen Nachahmung nicht einfach übersehen habe.«
Prieß hatte selber schon öfters heimlich anderer Leute Schubladen geöffnet. Daher wusste er, wie schwierig es war, so vorzugehen, dass später niemand Verdacht schöpfte. Wer immer sich Zutritt zu Diebnitz’ Wohnung verschafft hatte, war gewiss kein Anfänger.
»Und sonst? Gab es da irgendwas zu sehen, das uns weiterbringen könnte?«, wollte er wissen.
»Nicht die Spur. Entweder haben die mysteriösen Drei schon alles mitgehen lassen, was mit Diebnitz’ Tod zusammenhängt, oder sie sind genauso wie ich mit leeren Händen abgezogen, weil es einfach nichts zu finden gibt. Dieser Besuch hat mir nicht viel mehr eingebracht als die Erkenntnis, dass der Oberst viel und wahllos gelesen hat, ungern Uniform trug und jedes Stückchen Papier, das ihm je in die Finger gekommen ist, fein säuberlich abgeheftet hat. Und für diese grandiosen Einblicke habe ich teuer bezahlt, indem ich die ganze Zeit das Geschwätz der Hausbesitzerin ertragen musste.«
Die Wohnung schien eine Sackgasse zu sein. Aber jemand anders war auch schon diesen Weg gegangen, und zwar jemand, der die Durchsuchungsmethoden der Experten beherrschte und exzellente Fälschungen anzufertigen verstand. Das war für Friedrich und Alexandra ein deutlicher Hinweis, dass sich hinter dem unfreiwilligen Ende des Obersts etwas verbarg. Doch alles andere blieb weiterhin im Dunkel. Sie verfügten über so wenige Anhaltspunkte, dass sie nicht einmal sinnvolle Spekulationen konstruieren konnten. Nur eines war ihnen klar: Sie würden von nun an sehr vorsichtig sein müssen.
Montag, 23. Mai
Hamburger Tageblatt , Berliner Zeitung , The Times , Le Figaro . Friedrich Prieß überflog die Namen der Zeitungen, die in der Bahnhofsbuchhandlung auslagen. Überragend fand er die Auswahl nicht, aber sie war besser als gar nichts. Normalerweise ging er jeden Morgen in die Zweigstelle der Hamburger Bücherhalle, die in einem tempelartigen Granitbau in der Mönckebergstraße untergebracht war, direkt gegenüber dem Kontorhaus, in dem sich sein Büro befand. Dort las er dann die Tageszeitungen, teils aus echtem Interesse, teils weil es für einen Privatdetektiv nur von Vorteil sein konnte, umfassend informiert zu sein. Dafür lohnten sich die vier Mark Jahresbeitrag schon.
Und nun, nachdem er sich erst wenige Tage in Lübeck aufhielt, vermisste er das morgendliche Zeitungsstudium bereits. Im Hotel erhielt er nur die jeweils neueste Ausgabe des Lübecker General-Anzeigers , der hauptsächlich über lokale Themen berichtete. So bedeutsam für die Bürger der Hansestadt die endlosen Diskussionen um den geplanten Neubau der ewig defekten Klappbrücke über die Trave oder das marode Straßenpflaster in einem der dörflichen Vororte vielleicht waren, Friedrich konnte sich Lesenswerteres vorstellen. Darum war er gleich nach dem Frühstück losgefahren, um sich einige brauchbare Zeitungen zu besorgen, ehe er sich mit Alexandra traf.
Als er nun die Schlagzeilen las, war er jedoch nicht mehr sicher, ob er für so unerfreuliche Nachrichten Geld ausgeben wollte. Erneuter Anschlag: Dänische Terroristen sprengen Kriegerdenkmal in Düppel , stand in fetten Buchstaben auf der Titelseite des Schleswiger Kuriers , und das konservative Hannoversche
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