Kaisertag (German Edition)
sie zu alt ist und neben den anderen Luftkreuzern keine gute Figur mehr machen würde.«
Der Hauptmann seufzte melancholisch.
Eine sanfte Windbö strich über das Flugfeld und verfing sich am mächtigen Körper des Zeppelins. Leise knarrte das riesige Gerippe.
Mit viel Glück war es Friedrich und Alexandra gelungen, einen Tisch im Garten des Ausfluglokals Grönauer Baum zu ergattern. Sie hatten sich zwei große Krüge frischer Fassbrause sowie Würstchen mit Kartoffelsalat bringen lassen und genossen den schönen Frühlingstag, ohne an den toten Geheimdienstoberst zu denken. Kinder liefen zwischen den eng beieinanderstehenden Stuhlreihen umher und spielten Fangen, Familienväter hatten sich zu den unvermeidlichen Skatrunden zusammengefunden und knallten die Karten auf die Tische, wobei sie recht lautstark ihre Spiele ansagten.
Die Feiertagsstimmung gefiel Prieß, der Kartoffelsalat schmeckte ihm gleichfalls, und er stellte sogar fest, dass er Alexandras Nähe kaum noch als beklemmend empfand. Sie lachten miteinander, er erzählte ihr von seinem Traum, einmal in seinem Leben nach Brasilien zu reisen, und obwohl es Friedrich Prieß nicht leichtfiel, musste er akzeptieren, dass seine frühere Verlobte nicht nur mehr zweideutige Witze kannte als er, sondern sie auch viel besser erzählen konnte.
»Hast du die am Tisch da drüben gesehen?«, fragte Alexandra und deutete mit einer Kopfbewegung nach rechts. Prieß sah hinüber. Dort saßen vier Jungen und ebenso viele Mädchen, alle vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Sie schienen sich sehr gut zu amüsieren, und Friedrich war ein wenig neidisch. In seiner Jugendzeit hatte es kaum eine Chance gegeben, sich mit Mädchen zu treffen, ohne dass sie Gefahr liefen, sich ihren Ruf und damit ihr ganzes weiteres Leben zu ruinieren. Aber die Sitten waren lockerer geworden, wenn das auch manchen Leuten ganz und gar nicht gefallen mochte.
Alexandra grinste. »Wenn ich die Uniform anhätte, müsste ich nun einschreiten … siehst du, dass alle Jungs ihre Gymnasiastenmützen abgenommen und in die Taschen gestopft haben? Eigentlich müssen sie die Mützen immer und überall tragen … aber was soll’s, ich habe meinen freien Tag, bin in Zivil und überhaupt ist das eine dumme Vorschrift!«
»Hört, hört. Ist das wirklich die pflichtbewusste Polizeipräsidentin der Freien und Hansestadt Lübeck, die da spricht?«, lachte Prieß.
Er schaute noch einmal zu den Jugendlichen hinüber. Alexandra Dühring hatte recht, in den Jackentaschen der Jungen steckten zusammengerollte Schülermützen. Und einer von ihnen, ein großer Blonder, dem ein hübsches Mädchen mit langen dunklen Zöpfen gerade eine Bockwurst vor der Nase wegzog, trug sogar die blauen amerikanischen Hosen, die sich bei jungen Leuten wachsender Beliebtheit erfreuten – und auf die konservative Gemüter in Deutschland so allergisch reagierten, als handelte es sich um die Vorboten des Untergangs des Abendlandes.
»What a surprise!«, rief plötzlich eine helltönende weibliche Stimme. »My dear Frau Dühring, wie schön, Sie zu treffen! Ist das nicht ein herrlicher Tag, so lovely!«
Prieß fuhr herum. Eine kleine rotblonde Frau in einem geblümten Kleid tänzelte quirlig durch den voll besetzten Biergarten; in der einen Hand trug sie eine Zeichenmappe, mit der anderen winkte sie lebhaft.
»No, really, so eine unverhoffte Begegnung«, sagte sie, als sie den Tisch erreichte. »Ich sah Ihr Automobil vor diesem Inn stehen und dachte mir: Yvonne, isn’t that Frau Dühring’s motor-car? Ich wünsche Ihnen einen wundervollen guten Tag.«
»Vielen Dank, den wünsche ich Ihnen auch«, erwiderte Alexandra. »Darf ich Ihnen vorstellen: Friedrich Prieß, ein … alter Freund. Fritz, du hast die Ehre mit Miss Yvonne Conway, der berühmten englischen Malerin und Angehörigen der Royal Society of Arts.«
Der Name sagte Prieß nichts, aber nachdem er seine Überraschung über den äußerst lebendigen Auftritt der Engländerin überwunden hatte, fielen ihm seine Umgangsformen wieder ein. Er stand auf und reichte Miss Conway die Hand. »Ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte er. »Möchten Sie sich nicht zu uns setzen?«
»Oh, how nice of you. Aber ich werde Ihnen nur für ein, zwei Minuten zur Last fallen.«
Noch bevor Prieß ihr den einzigen freien Stuhl zurechtrücken konnte, wie er es einmal von seiner Benimmlehrerin gelernt hatte, saß Yvonne Conway bereits und redete fröhlich weiter:
»Es ist so
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