Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
Vom Netzwerk:
glücklich darüber zu sein, hinter einem Pferdefuhrwerk daherzuckeln zu müssen, und schnitt verärgerte Grimassen, die seinen Unmut deutlich zum Ausdruck brachten. Autofahrer durften Kutschen nicht überholen, denn es hatte schon zu viele Unfälle durch scheuende Pferde gegeben. Also war der bemitleidenswerte Fahrer dazu verurteilt, dem gemütlich daherschleichenden Eiswagen so lange geduldig zu folgen, bis sich ihre Wege irgendwann einmal trennten.
    Als Prieß sah, dass die Seitenwand des Lastwagens den Schriftzug einer Hamburger Spedition trug, fiel ihm wieder ein, dass er seine Miete noch überweisen musste. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg in Richtung Altstadt; er glaubte sich zu erinnern, eine Filiale der Spar- und Anleihe-Kasse irgendwo in der Breiten Straße gesehen zu haben.
      
    »Und nach der Begrüßung durch die Honoratioren der Stadt sowie der Abnahme der Ehrenkompanie auf dem Platz vor dem Bahnhof wird Seine Majestät das Automobil besteigen und zum Festplatz fahren.«
    Der Bürgermeister, die Senatoren und die Polizeipräsidentin Lübecks standen in einem der hohen alten Räume des Rathauses um ein großes Modell der Stadt versammelt und folgten aufmerksam den Erläuterungen des Obersts in der weißen Uniform der Gardekürassiere. Oberst von Cholditz vertrat die Protokollabteilung des kaiserlichen Hofes und sollte dafür sorgen, dass der bevorstehende Besuch Wilhelms V. nicht durch Fehler im Ablauf oder peinliche Schnitzer getrübt würde.
    »Ich nehme doch an, Sie verfügen über ein Cabriolet, das diesem Zweck angemessen ist?«, fragte er Bürgermeister Pagels in herablassend nasalem Tonfall, der wohl seine Geringschätzung für Zivilisten zum Ausdruck bringen sollte.
    »Jawohl, selbstverständlich, Herr Oberst«, beeilte sich das Stadtoberhaupt zu versichern.
    »Gut, gut. Seine Majestät hat eine Abneigung gegen Kutschen, daher kommt nur ein Auto infrage. Vergessen Sie das auf gar keinen Fall. Schließlich soll die Stimmung Seiner Majestät durch nichts beeinträchtigt werden.«
    Die Herren in den dunklen Anzügen nickten eifrig und ehrfürchtig, um deutlich zu zeigen, dass sie die allerhöchsten Wünsche des jungen Kaisers verstanden hatten. Nur Alexandra Dühring hielt sich zurück. Protokollarische Einzelheiten interessierten sie wenig; ihre Aufgabe bestand darin, für die Sicherheit während des Besuchs zu sorgen, und das war bei Weitem schwieriger und wichtiger als die Frage, in welcher Reihenfolge die Senatoren mit ihren Gattinnen den Kaiser auf dem Bahnsteig willkommen heißen durften. Überdies mochte sie den Oberst nicht, sein ganzes Auftreten war ihr zuwider.
    Mit einem dünnen Zeigestock fuhr der Offizier auf dem Stadtmodell die Strecke entlang, auf der der Kaiser sich zum Hanseplatz begeben sollte. »Der Wagen hat die Strecke mit einer konstanten Geschwindigkeit von sieben Stundenkilometern zurückzulegen. Sie wurden bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass dem Fahrzeug eine Ehreneskorte von achtundzwanzig Mann zu Pferde voranzureiten hat?«
    »Jawohl, Herr Oberst«, antwortete einer der Senatoren, »und wir haben bereits alles entsprechend arrangiert. Die Eskorte werden mecklenburgische Dragoner bilden, die in Schönberg in Garnison liegen.«
    »Dragoner, hm?«, erwiderte der Protokolloffizier und rümpfte kaum sichtbar die spitze Nase. »Dragoner mögen hundertmal auf Pferden sitzen, sie bleiben trotzdem Infanterie … nun gut. Wollen wir nur hoffen, dass dieses berittene Fußvolk sich überhaupt aufrecht im Sattel halten kann. Die Männer sollen Paradeuniform und Lanzen tragen, richten Sie das aus.«
    Wieder gaben die Repräsentanten der Hansestadt durch ihre Mimik zu verstehen, dass sie diese Anweisungen gewissenhaft ausführen würden.
    Hochnäsiger Fatzke , dachte Alexandra, dich möchte ich mal sehen, wenn du plötzlich ohne deine schicke Uniform dastehst.
    Von Cholditz war ihr von Anfang an unsympathisch gewesen. Mit jedem Wort ließ er seine Umgebung spüren, wie überlegen er sich dank seiner Gardeuniform dünkte. Und dass er auf subtile Weise ständig zeigte, wie wenig ernst er einen weiblichen Polizeipräsidenten nahm, brachte Alexandra geradezu zum Kochen. Dass die Vertreter Lübecks vor dieser Verkörperung der Arroganz katzbuckelten, erschien ihr einfach nur peinlich.
    Sie ließ den Blick über die Männer schweifen, die rund um das große Modell der Stadt standen und jedem Wort des Offiziers respektvoll lauschten. In allen Gesichtern sah sie den

Weitere Kostenlose Bücher