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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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gefälligst!«
    »Natürlich, Herr Oberst. Wie Herr Oberst wünschen«, bestätigte der Senator eilig. Er war kreidebleich geworden und wirkte noch kleiner, als er ohnehin schon war.
    Von Cholditz war mit der Wirkung seiner Worte zufrieden; nachdem er sich seiner Autorität nun wieder sicher sein konnte, erschien ein mildes Lächeln auf seinem knochigen Gesicht. »Recht so. Ich denke, wir sollten pausieren und Erfrischungen zu uns nehmen. Herr Bürgermeister, Fräulein Polizeipräsidentin, meine Herren Senatoren, wir sehen uns nach dem Essen hier wieder. Bereiten Sie sich bitte auf die Besprechung des Ablaufs der Feierlichkeiten vor.«
    Die Männer verließen den Raum. Nur Senator Frahm und Alexandra blieben zurück.
    »Da haben Sie den werten Herrn von Cholditz ja ganz schön aus dem Konzept gebracht«, meinte der Senator zur Polizeipräsidentin.
    »Ich hätte es lieber vermieden, Herr Senator, aber mir blieb keine andere Wahl. Ich hoffe nur, dass ich mich mit meiner Weigerung, seinen Forderungen nachzukommen, nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt habe.«
    »Wo denken Sie hin? Nein, Sie haben völlig richtig gehandelt. Dieser Mann hatte nichts anderes verdient. Und wenn ich mich ärgere, dann gewiss nicht über Sie, sondern über meine Amtskollegen und den Bürgermeister.« Er betrachtete das Modell des von Rathaus und St. Marien gekrönten Altstadthügels, den Flussläufe, ehemalige Festungsgräben und der Elbe-Trave-Kanal zu einer von allen Seiten von Wasser umgebenen Insel machten. »Was mir ernsthaft Sorgen bereitet, das ist das Verhalten dieser Männer. Sie sind die Vertreter einer republikanischen Ordnung mit langer Tradition. Und dann dieses würdelose, untertänige Auftreten, mit dem sie ihren Gehorsam gegenüber Kaiser, Reich und Waffenrock zur Schau stellen, sobald jemand mit Offiziersepauletten daherkommt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Frau Dühring, ich bin selber ein Patriot und würde niemanden verurteilen, der seine Liebe zum Vaterland offen zeigt. Aber zwischen Vaterlandsliebe und blinder Kriecherei liegen ganze Welten …«
    Er schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie bitte. Ich habe mich hinreißen lassen. Doch meine Ansichten zu diesen Dingen sind ja sicher allgemein bekannt.«
    »Sie sind kein Geheimnis, Herr Senator«, bestätigte Alexandra. »Jeder weiß, dass Sie für Ihre Überzeugungen einstehen und dafür auch in Kauf nehmen, sich der Kritik auszusetzen. Im Gegensatz zu vielen anderen haben Sie keine Angst.«
    Senator Frahm strich mit dem Zeigefinger über das Dach des auf die Größe einer Kaffeedose verkleinerten Rathauses und hinterließ eine Spur in der dünnen Staubschicht. »Keine Angst … nein, das stimmt nicht. Hätte ich wirklich keine Angst, was würde ich dann alles sagen? Denken wir nicht darüber nach, zumindest im Augenblick nicht. Erweisen Sie mir die Ehre, mich in den Ratskeller zu begleiten, Frau Dühring? Es wäre mir eine Freude, Sie einladen zu dürfen.«
      
    Vom Dom schlug es halb neun. Längst hatte einmal mehr abendliche Ruhe Besitz von Lübeck ergriffen. Die Leute hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen und verfolgten an den Radios die NORAG-Dämmerstunde , eine der beliebtesten Musiksendungen der Norddeutschen Rundfunk-Aktiengesellschaft.
    Alexandra Dühring allerdings war gar nicht nach Musik zumute. Sie saß noch immer in ihrem Büro im mittlerweile fast menschenleeren Polizeirevier und hatte das Gefühl, ihr Kopf könnte jede Sekunde bersten. Die endlose Besprechung mit dem von überflüssigen Details besessenen Protokolloffizier hätte sie noch verkraftet, aber von Cholditz’ selbstherrliche Arroganz hatte sie so in Wut versetzt, dass sich der unterdrückte Ärger dieses ganzen Tages nun in heftigen Kopfschmerzen niederschlug. Hinzu kam noch, dass ihr auch der Mord an Oberst Diebnitz keine Ruhe ließ.
    Besonders an den so plötzlich spurlos verschwundenen Karl Lämmle musste sie immer wieder denken. Sie war sich absolut sicher, dass Lämmle den Schlüssel zum Rätsel um Diebnitz’ Tod darstellte – oder wenigstens den Weg zum Schlüssel weisen konnte. Und da war irgendwo auch ein Fingerzeig gewesen, eine winzige Einzelheit, die vielleicht einen Hinweis darauf enthielt, wo dieser Mann nach seinem überraschenden Abtauchen Unterschlupf gefunden haben könnte … aber Alexandra konnte sich nicht mehr erinnern. War es etwas, das sie gesehen hatte? Etwas, das jemand in einem unbedeutenden Nebensatz erwähnt hatte?
    Nun streng dich mal ein bisschen an

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