Kaisertag (German Edition)
kann. Sind Sie damit einverstanden?«
Prieß war unschlüssig, doch Alexandra nahm ihm die Entscheidung ab. »Das können wir akzeptieren«, antwortete sie, fügte aber warnend hinzu: »Wir erwarten, dass Sie uns einweihen, falls Sie die Sache vor uns aufklären.«
»Darauf haben Sie mein Wort«, sagte die Engländerin und hob wie zum Schwur die Hand. »Nun möchte ich mich aber verabschieden. Ich habe Ihnen genug Ungelegenheiten bereitet, wenn das auch nicht meine Absicht war. Ich hoffe aufrichtig, dass Ihnen nichts zustößt.«
Sie wandte sich zur Tür, drehte sich dann aber noch einmal herum und fragte: »Herr Prieß, Sie werden es mir vermutlich nicht sagen … aber konnte Ihr Informant Ihnen noch etwas mitteilen, ehe er zu Tode kam?«
»Sie haben ganz recht, verehrte Miss Conway«, erwiderte Prieß. Im Gesicht der Engländerin erschien ein Ausdruck erwartungsvoller Aufmerksamkeit, der aber schnell wieder verblasste, als der Detektiv weitersprach: »Ich werde es Ihnen tatsächlich nicht sagen. Einen schönen Tag noch.«
Es war spät geworden, als Prieß sich endlich wieder um die Pläne des Forschungsinstituts kümmern konnte; er hatte sich erst an den Gedanken gewöhnen müssen, mitten in ein unüberschaubares Spiel geraten zu sein, in dem Freund und Feind nicht leicht auseinanderzuhalten waren und aus dem es keinen einfachen Ausweg gab.
Alexandra hatte ihm auf der Karte noch das alte Herrenhaus des früheren Gutes Strecknitz gezeigt, das sich am südlichen Rand des Geländes befand. Bei der Gelegenheit hatte sie ihn noch einmal unumwunden wissen lassen, dass sie das Vorhaben für Selbstmord hielt. »Ich auch«, hatte Prieß daraufhin lakonisch geantwortet, »und wenn du eine bessere Idee hast, nur zu. Ich werde sie mit Freuden annehmen.« Dann war sie zu Bett gegangen, weil sie am nächsten Morgen bei der offiziellen Trauerfeier für die Opfer des Anschlags erwartet wurde und ausgeschlafen sein musste.
Bis tief in die Nacht saß Prieß über den Karten. Den Plänen des Bauamtes zufolge führte das Rohr, das er entdeckt hatte, den Bach unterirdisch quer durch den Südteil des umzäunten Areals. Penibel war sogar angegeben, dass der Durchmesser durchgehend achtzig Zentimeter betrug. Es mündete in einen Teich von der Größe eines halben Fußballfelds unmittelbar vor dem Gutshaus; theoretisch waren die Voraussetzungen geradezu ideal.
Die Realität hielt jedoch möglicherweise einige Stolpersteine bereit. Aus dem ältesten der Pläne, die er zur Verfügung hatte, konnte Prieß ersehen, dass der bis dahin oberirdisch verlaufende Bach im Jahre 1926 unter die Erde verbannt worden war. Er hatte außerdem eine weitere Zuleitung erhalten, nämlich den Sammelablauf für das Regenwasser aus den Straßengullys der Heilanstalt. Der jüngste Plan war 1965 entstanden und dokumentierte die umfangreichen Erweiterungen, nachdem aus dem Krankenhaus das Physikalische Forschungsinstitut geworden war. Damals hatte man die Kanalisation zwar von Grund auf erneuert, aber das Wasserrohr war den Blaupausen nach dabei nicht angetastet worden. Somit waren die neuesten Informationen, über die Prieß verfügte, beinahe fünfundzwanzig Jahre alt. Aktuellere Karten existierten nicht, denn 1973 war das Institut als geheime Anlage klassifiziert worden. Seitdem gab es beim Lübecker Bauamt keine neuen Aufzeichnungen mehr über den Komplex. Inzwischen waren vielleicht Veränderungen vorgenommen worden, die das Rohr unpassierbar machten, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, dass es durch eine Alarmvorrichtung gesichert war. Und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, wusste Prieß nicht, was ihn erwartete, sobald er an dem Teich wieder ins Freie gelangte. Das ganze Unternehmen war wie eine Gleichung, die fast ausschließlich aus Unbekannten bestand und bei der man nicht einmal sicher sein konnte, ob auf beiden Seiten wirklich das Gleiche stand. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger gefiel Prieß sein eigener Plan. Doch eine Alternative sah er auch nicht.
Er gähnte lang gezogen. Seine Lider wurden immer schwerer, und die Beule an seinem Hinterkopf machte sich durch schmerzhaftes Hämmern bemerkbar. Es war Zeit, endlich ins Bett zu gehen.
Nicht weit entfernt von Alexandra Dührings Villa parkte am Straßenrand ein sandfarbener Borgward. Im dunklen Wageninneren saß ein junger Mann, der nun schon seit Stunden nichts anderes tat, als das Haus der Polizeipräsidentin unablässig zu beobachten. Besonders die
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