Kaisertag (German Edition)
sehe keine Unbeteiligten. In meinen Augen stecken die Dänen in unserem Land alle unter einer Decke, bejubeln insgeheim jede Untat der sogenannten ›Freunde Jütlands‹ und unterstützen sie sogar aktiv. Sie genießen die bedingungslose Unterstützung der Dänen in Schleswig-Holstein, gewähren ihnen Unterschlupf und verbergen sie vor unserer Polizei. Wie sonst lässt sich erklären, dass sämtliche Bemühungen, diese feigen Verbrecher aufzuspüren, ohne Ergebnis bleiben? Folglich sind die Dänen in ihrer Gesamtheit eine Bedrohung für das Reich.«
Wie gerne hätte Alexandra dem martialisch tönenden Senator jetzt offenbart, dass zumindest der Anschlag von Kronsforde nicht auf das Konto von Dänen, sondern von Deutschen ging. Aber so schwer es ihr auch fiel, sie musste schweigen. Es wäre ihr auch ein Vergnügen gewesen, sich demonstrativ auf Senator Frahms Seite zu stellen; der stockkonservative Kaacksteen gehörte zu jenen Lübecker Honoratioren, die sich mit Händen und Füßen gegen einen weiblichen Polizeichef zur Wehr gesetzt hatten, wenn er auch in dieser Hinsicht mittlerweile wenigstens etwas einsichtiger geworden war. Doch zwischen ihm und dem fortschrittlich gesinnten Frahm herrschte eine Art Dauerfehde, in der keiner von beiden den Beistand eines Außenstehenden wünschte. Es war ein Duell der Überzeugungen, das sich nun schon über mehrere Jahre hinzog. Zwischendurch hatte es immer wieder für mehr oder weniger lange Zeit geruht, nur um sofort wieder aufzuflammen, wenn ein neues kontroverses Thema die beiden Kontrahenten gegeneinander aufbrachte. Und genau das war jetzt wieder einmal der Fall.
Alexandra hielt sich also zurück, und der schmächtige Heinrich Wittsand stand ohnehin wie immer, wenn sich Unstimmigkeiten entluden, eingeschüchtert daneben. Aber das Wortgefecht zwischen Herbert Frahm und Christian Kaacksteen war nicht von langer Dauer, denn Bürgermeister Pagels, der sich bis eben noch mit dem Bischof und einigen Repräsentanten des Reiches unterhalten hatte, kam nun hinzu.
»Frau Dühring, meine Herren«, sagte er, »ich habe gute Nachrichten. Das heißt, falls man in so ungemein traurigen Zeiten überhaupt davon sprechen kann. Entgegen allen kursierenden Gerüchten wird der Besuch seiner Majestät nicht abgesagt. Das hat mir eben gerade Herr Major Brock von der Reichssicherheitspolizei mitgeteilt.«
Bleibt mir denn gar nichts erspart? , stöhnte Alexandra Dühring in Gedanken. Sie hatte gehofft, dass der Kaiserbesuch tatsächlich ausfallen würde. Aber nun war klar, dass sie dem Ärger, der mit dem Kaisertag verbunden war, doch nicht entgehen konnte. Schlimmer noch, jetzt würden aus Berlin sicher Forderungen nach noch einmal drastisch verschärften Sicherheitsvorkehrungen kommen. Als ob das überhaupt möglich gewesen wäre, denn sämtliche Lübecker Polizisten mussten am Kaisertag bereits mindestens Doppelschichten leisten. Und das trotz der Unterstützung durch die Feldgendarmen.
Senator Kaacksteen nahm die Neuigkeit mit Genugtuung auf. »Gut so! Seine Majestät setzt damit ein deutliches Zeichen. Wo kämen wir hin, wenn dieses dänische Pack alles zum Erliegen bringen könnte? Das würden sie nur als Triumph betrachten.«
»Ich weiß nicht so recht«, meinte Senator Wittsand vorsichtig, als hätte er Angst, dem fast zwei Köpfe größeren Kaacksteen zu widersprechen. »Ich hätte schon Verständnis dafür gehabt, wenn der Kaiser es vorgezogen hätte, seinen Besuch abzusagen. Nicht, dass ich abergläubisch wäre … aber ich an seiner Stelle würde mich fragen, ob man das Schicksal herausfordern sollte. Denken Sie an das Unglück, das die kaiserliche Familie im vergangenen Jahr heimgesucht hat. Man ist beinahe geneigt, an einen Fluch zu glauben …«
Alle wussten, was der Senator meinte. Im Februar 1987 war während einer besonders schlimmen Grippeepidemie erst der einzige Sohn Wilhelms IV. erkrankt und gestorben, und nur eine Woche später war auch der älteste Enkel des Kaisers dem Kronprinzen ins Grab gefolgt. Der Kummer über den doppelten Verlust hatte den Lebenswillen des alten Kaisers aufgezehrt, Anfang März war auch er tot. Daher hatte der jüngere Sohn des verstorbenen Kronprinzen mit gerade zwanzig Jahren den deutschen Kaiserthron besteigen müssen, obwohl seine Erziehung ihn nicht auf diese Aufgabe vorbereitet hatte, wie das bei seinem Bruder von Kindesbeinen an geschehen war.
Aber Kaacksteen wollte vom schon sprichwörtlichen Unglück der Hohenzollern nichts hören.
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