Kaisertag (German Edition)
mochte einfach nur unglaubwürdig sein, aber was der Autor dann noch dem Deutschen Reich angedichtet hatte, fand Prieß geschmacklos und abstoßend: Ein Regime massenmordender rassistischer Wahnsinniger, angeführt ausgerechnet von einem messiasartig verehrten österreichischen Postkartenmaler, der nicht nur den zweiten dieser Weltkriege vom Zaun gebrochen hatte, sondern auf dessen Befehl hin auch Millionen von Menschen in monströsen Tötungslagern ermordet worden waren. Das alles wurde nur angedeutet und diente als Vehikel für die eigentliche Handlung, eine merkwürdige Spionagegeschichte im Berlin des Jahres 1964, nach dem Willen des Verfassers durch eine riesige Betonmauer in zwei Hälften geteilt; dennoch fand Prieß es schon abscheulich genug. Er schlug das Buch zu und las noch einmal den Titel auf dem Schutzumschlag: Vaterland von Robert Harris, in fetten Buchstaben geschrieben über einer Fotomontage, die das Brandenburger Tor hinter der ›Berliner Mauer‹ zeigte. Er nahm sich vor, diesen Namen im Gedächtnis zu behalten, um in Zukunft einen großen Bogen um die Machwerke dieses Mannes machen zu können.
Die Zeitung war auch keine angenehmere Lektüre. In fetter Fraktur prangte auf der Titelseite des Lübecker General-Anzeigers die Schlagzeile: Niederträchtige dänische Bluttat! Darunter wurde von dem Anschlag in Kronsforde berichtet, der zwölf Tote und zwanzig Verletzte gefordert hatte. Ein dicker schwarzer Rahmen umgab die Liste der Todesopfer, und Prieß lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er dort seinen eigenen Namen las. Auch Hauptmann Weinberg war aufgeführt, aber ohne jeden Hinweis auf seine Zugehörigkeit zum Reichsamt für Militärische Aufklärung. Die Berichte über das Attentat füllten die halbe Zeitung, und aus jeder Zeile sprach grenzenloser Zorn. Es gab genug Augenzeugen, die beschwören konnten, dass die Täter Parolen der ›Freunde Jütlands‹ gerufen hatten. Niemand bezweifelte, dass das Blutbad auf das Konto der dänischen Terroristen ging.
Aber Prieß erinnerte sich noch deutlich an das Letzte, was er gehört hatte, bevor er ohnmächtig geworden war. Er wusste, dass die Mörder von Kronsforde Deutsche waren und dass sie die Absicht gehabt hatten, ihn und den Hauptmann zu beseitigen. Sie hatten sich nur an den Zug der ständigen dänischen Anschläge angehängt, um unerkannt zu bleiben. Und das zeigte Prieß, dass er es mit Verbrechern zu tun hatte, die keine moralischen Hemmungen kannten und die vor nichts zurückschreckten. Nun war ihm auch klar, dass er nicht aufgeben durfte. Er musste diesen Leuten das Handwerk legen, ganz gleich, wer sie waren oder was sie im Schilde führten. Wenn niemand sie aufhielt, würden sie vielleicht weitermorden, um ihre Ziele zu erreichen, und zwar noch brutaler und grausamer. Er traute ihnen jetzt alles zu.
Am späten Nachmittag kehrte Alexandra Dühring heim. Sie hatte sich erst stundenlang mit zahllosen aufdringlichen Reportern herumschlagen müssen und dann mit den Leuten der Geheimen Reichssicherheitspolizei und des Inlandsgeheimdienstes, die nun die Ermittlungen übernommen hatten. Trotz allen Ärgers hatte sie daran gedacht, die Pläne des Forschungsinstituts aus dem Stadtarchiv zu besorgen.
Sie warf die großen Papierrollen auf den Tisch im Lesezimmer, ließ sich erschöpft in den am nächsten stehenden Sessel fallen und sagte zu Prieß: »Jetzt wirst du mir erst mal erzählen, was am Sonnabend und Sonntag alles passiert ist, und zwar ganz genau. Vorher wirst du die Pläne nicht anrühren!«
Haarklein berichtete Friedrich, was er erlebt hatte: Vom Streit mit Max Sonnenbühl – den Alexandra mit säuerlich gerümpfter Nase zur Kenntnis nahm – über seine Begegnung mit Yvonne Conway bis zu seinem Treffen mit Hauptmann Weinberg.
»Noch mehr Rätsel!«, stöhnte Alexandra, nachdem er ausgeredet hatte. »Das waren also keine Dänen. Aber wer dann? Wer ist so eiskalt und abartig? Das müssen Bestien sein, Fritz!«
Dann schilderte sie, was geschehen war, nachdem die Meldungen über den angeblichen Terroranschlag auf den Titelseiten aller Zeitungen erschienen waren. In ganz Schleswig-Holstein entlud sich blinder Hass auf alles Dänische. Angehörige der dänischen Minderheit wurden auf offener Straße zusammengeschlagen. In Tondern und Rendsburg waren Häuser in Brand gesteckt worden. Schaufenster wurden eingeschlagen und Geschäfte verwüstet. In Flensburg hatten Soldaten in letzter Sekunde eine rasende Menge
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