Kaktus zum Valentinstag
wirklich früher kommt, weil ich nie auf die Idee gekommen bin, diesen Wunsch auf den Zettel zu schreiben. Vielleicht klappt es ja bei euch!«
Am nächsten Tag kommt Raphael aus dem Kindergarten und meint: »Meine Freunde haben mir gesagt, das sei Quatsch. Wenn es wirklich einen Weihnachtsmann gibt, dann kommt der niemals früher. Das gibt es nicht!«
»Woher wollen DIE das denn wissen? Das ist eine Ausnahme, die es nur sehr, sehr selten gibt, aber es gibt sie, glaub mir! Keine Regel gilt unter allen Bedingungen. Es sind die Menschen, die gerne Regeln aufstellen, ohne alle Bedingungen zu kennen, und sich dann wundern, dass es selten vorkommende Bedingungen gibt, unter denen eine Regel nicht mehr gelten kann. So könnte das hier doch auch sein, oder?«
Eine Woche später gehen die Mau, die RaRas und ich zum Familiengottesdienst in die Kirche. Ich erlaube mir, diesen Adventsgottesdienst kurzerhand in unseren ganz persönlichen Weihnachtsgottesdienst umzuwidmen. Als wir alle zusammen nach Hause zurück in die Wohnung kommen, ist es Ramona, die als Erstes nichtsahnend das große weihnachtlich erleuchtete Wohnzimmer betritt und in einem gellenden Freudenschrei losbricht:
»Der Weihnachtsmann! Er war hier. Beim Baum. Da sind Geschenke!«
»Du spinnst, das gibt es doch gar …«, ruft Raphael aus dem Flur hinterher, bis er beim Blick in die im weihnachtlichen Licht glänzende Stube verstummt.
So machen wir aus der verbleibenden Adventszeit vor dem kalendarischen Weihnachtsfest eine vorgezogene Weihnachtszeit, mit allem, was dazugehört. Raphaels Kindergartenkameraden können es auch nicht fassen, dass der Weihnachtsmann bei uns eine solche Ausnahme gemacht hat. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Wie den Weihnachtsmann.
Es ist diese unfassbare, in den hellen Stimmen der RaRas liegende Freude, die auch mir Freude bringt. Selten ist es mir gelungen, derartige Freude bei den RaRas zu registrieren. Die Idee, ein Volltreffer. Ein Traum, den ich als Kind so oft hatte, der nie in Erfüllung ging, dass der Tag der Geschenke doch bloß nicht mehr so fern liegen möge.
So verbringen wir drei Wochen später den kalendarischen Heiligabend im Süden Chiles in einer urigen Blockhütte am brennenden Kamin. Spartanisch. Naturnah. Abenteuerlich. Ohne große Geschenke. Denn die wären Ballast im Gepäck. Eine weitere Woche später, am 31. Dezember 2000, der wahren Jahrtausendwende, geht mein großer Jugendtraum in Erfüllung.
Ich werde von einer »Krankheit« geheilt, die ich mir bereits als Vierzehnjähriger beim Lesen eines Artikels in der Ausgabe 12/1978 der Fernsehzeitschrift HÖRZU eingefangen habe. Damals berichtete ein Fritz B. Busch über die »unmöglichste Straße der Welt«. Und ich spürte, wie mich der Stachel der Fernwehmücke pikste und mich infizierte: Diese Straße fährst du in diesem Leben auch noch mal ab!
Mit Ausnahme der Darien-Sümpfe zwischen Panama und Kolumbien, durch die nach wie vor leider keine Straße führt, habe ich die gesamte Strecke abgefahren! Frei nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel! Und: Nach der Kurve ist vor der Kurve! Endlich Ushuaia! Und dann die allerletzte Kurve vor dem »Final-Ruta«, dem Schild, das mir verkündet: Die Strecke von Alaska nach Feuerland auf dem Landweg ist eingesammelt. Geschafft!
Expeditionen in den Familienalltag
Im Sommer wird Raphael in der Grundschule Nauheim eingeschult. Von den allerersten Tagen einmal abgesehen, geht Raphael seinen Schulweg von Beginn an alleine. Ganz genauso wie ich damals. Viele andere Eltern bringen ihre Kinder immer mit dem Auto zur Schule, damit bloß kein Unfall passiert. Ich halte davon gar nichts, weil man so vielleicht versäumt, einem Menschen frühzeitig Respekt vor und damit Umgang mit Gefahren beizubringen und ihn an Verkehr zu gewöhnen. Ich will meinem Kind keinen Schutzraum gegeben haben, der sich einmal fatal auswirken könnte. Irgendwann verlässt es diesen Schutzraum, zum Beispiel wenn es selbst einmal Auto oder Motorrad fährt, und kommt dann mit achtzehn im Verkehr um, weil es die Gefahr falsch eingeschätzt hat.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass viele Kinder, die früh Opfer von Verkehrsunfällen werden, sich sowieso später totgefahren hätten, weil ihnen der Respekt vor den Gefahren im Verkehr fehlte. Und wenn unsere Kinder zu dieser Sorte gehören, dann wäre es besser, es passiert gleich etwas, woraus sie entweder nachhaltig lernen, weil es noch mal gut gegangen ist, oder wenn es tödlich enden würde,
Weitere Kostenlose Bücher